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Archiv-Artikel

adressieren sie ihr paket an den monddoktor von EUGEN EGNER

Wir haben schon unsere Schlafschürzen angezogen und stehen auf dem Fenstersims. Die ältere Dame im Nachbargarten erscheint uns interessant. Darum recken wir unsere dünnen Hälse nach ihr. Worauf zielt sie wohl mit ihrem Gewehr? Leider können wir es nicht erkennen, Schlafentzug und Drogen hindern uns daran. Wie müde wir sind! „Mehr Schlaf!“, ruft die Aufsicht hinter uns, jemand muss sie telefonisch verständigt haben. „Ihr braucht mehr Schlaf!“ Sie zerrt uns ins Zimmer zurück, bevor wir uns mit blöde verzücktem Kinderlächeln in die Tiefe stürzen können.

„Was habt ihr wieder alles aus dem Fenster geworfen!“, schreit die Aufsicht jetzt ungehalten. Wir können es nicht leugnen, zahlreiche Wurfspuren in der Luft, wie Schnüre anzusehen, verraten uns. Vielleicht, denken wir, zielt die ältere Dame auf die Dinge, die wir hinausgeworfen haben? Wer weiß, vielleicht hat sie sie schon erschossen? Oder – mit schreckgeweiteten Augen kommt uns der Gedanke – zielt sie am Ende auf uns, wie wir in unseren Schlafschürzen auf dem Sims stehen? Aber nein, beruhigen wir uns, wir stehen ja gar nicht mehr auf dem Sims! Die Aufsicht hat uns längst mit den Wurfspur-Schnüren an unseren Betten festgebunden. Doch das hindert uns nicht, wenige Minuten später auf dem Sims zu sitzen und an uns (jedes für sich) herumzuspielen.

Randolf sitzt sogar am Computer und spielt an sich herum. Er hat seine Lieblingsseite auf dem Bildschirm: „Gamla Mök“. Hingerissen blinzelt er die Feudalgräuel an, die dort kostenlos dargeboten werden. „Du Ferkel!“, rufen wir ihm neidisch zu. „Du hast das Herz am rechten Fleck!“ Wir würden jedoch lieber etwas anderes sehen, nämlich „Das endgültige Sudelblondchen“ – die ist vielleicht ein Herzchen! Sachen macht die … „Sudelblondchen, Sudelblondchen“, skandieren wir daher, was Randolf aber überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt, so vertieft ist er in „Gamla Mök“. Plötzlich jault er auf, denn abrupt wird sein Programm beendet, weil Fehler 2 aufgetreten ist. Randolfs Wutgeheul lockt beinahe die Aufsicht an. Wir sehen unter „Hilfe“ nach, und da steht: „Adressieren Sie Ihr Paket an den Monddoktor.“ Also adressieren wir unser Paket an den Monddoktor (wir halten stets eins für solche Fälle bereit). „Und dann?“ – „Jetzt müsst ihr eure Belege sortieren und an Renate schicken“, antwortet das Hilfsprogramm. Sehr gerne wollen wir das tun, aber: Wie heißt Renate mit Nachnamen? Wie lautet ihre Adresse?

Ungebunden diskutieren wir den Kasus, da fällt ein Schatten zum Fenster herein. Die ältere Dame zielt mit dem Gewehr auf uns! Aus nächster Nähe! Wir können die Blumen auf dem Kleid zählen, in dem ihr mädchenhafter Körper steckt. Wir könnten die Blumen sogar alphabetisch oder nach Farben sortieren, doch vorher drückt sie ab, wieder und wieder, bis sich nichts mehr regt. Ist nun Schluss mit Schlafdefizit und Drogen, mit kostenlosen Feudalgräueln und Sudelblondchen? Werden wir Renates Nachnamen nie erfahren? Immateriell unter der Decke schwebend, sehen wir zu, wie die Aufsicht unsere Überreste in das Paket steckt, das wir schon an den Monddoktor adressiert haben. So hängen immerhin alle Dinge irgendwie zusammen.