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Zwischen den RillenMarsch durch die Produktionen

■ Zeiten, Plätze, Lebenswelten: Quincy Jones und Marvin Gaye go Gala

Bono singt auf beiden Platten. Als Hommage an Marvin Gaye hat er mit ihm das imaginäre Duett „Save the Children“ aufgenommen, für Quincy Jones läßt er sich bei „Let the good times roll“ von Stevie Wonder und Ray Charles begleiten. Gemeinsam im Studio hat er mit keinem gearbeitet. Marvin Gayes Vocals stammen vom Band, die Stimme zur Swing-Nummer aus dem Jahr 1946 wurde via Dublin nachträglich ins Arrangement gemischt. Ähnlich den virtuellen Beatles ergibt sich die mediale Gespenstigkeit aus modernen Produktionsbedingungen. DAT ist in der kleinsten Hütte. Quincy Jones meint darüber im Begleittext zur Platte: „Der Beitrag von Bono kam einfach ganz natürlich, so wie die Dinge sein sollen.“

Überhaupt muß es bei den Sessions zu „Jook Joint“ wie im Dream-Team zugegangen sein. An die 90 Musiker, SängerInnen und Starlets hat der inzwischen 61 Jahre alte Quincy Jones eingeladen, manche wurden nach der ersten Probe bereits mit einem wahrscheinlich gar nicht mal unnetten Dankeschön verabschiedet. Zur Single „You put a move on my heart“ brauchte man acht Anläufe, bis eine gewisse Tamia (19 Jahre, Windsor, Ontario) die Aufnahmeprüfung bei Qwest, dem Familien-Label von Jones, bestand. Super-Model Naomi Campbell wurde für zwei Träller angeschleppt, Phil Collins bewarb sich mit einem gefaxten Fanbrief und durfte die Duke-Ellington-Adaption „Do nothin till you hear from me“ singen. Ungeheuer diszipliniert trat derweil eine Jazz-Diva wie Nancy Wilson ins zweite Glied zurück, während am Mikro diverse Swingbeat- Schwestern von Brandy bis SWV mit gestandenen Männern à la Barry White turteln.

Denn nicht die Sänger, die Songs sind das eigentliche Kapital der sonst wie eine Gala vorbeisurrenden Produktion. Aus ihnen kann man die Jonessche Erfolgsbiographie herauslesen: Die Big- Bands mit Count Basie oder Lionel Hampton in den vierziger Jahren, der Jazz-Funk der Siebziger und die R&B-Balladen des Mainstream. Jede Phase ist mit ein paar Stücken vertreten, die sich über präzise von Jones zugeschnittenen Beats und Bläsersätzen stets bruchlos zu zeitgenössischem Soul vereinen. Nie hört man „Jook Joint“ den Wandel an: „Killer Joe“ etwa wurde 1953 von Benny Golson noch als Blues geschrieben, 1969 arrangierte Quincy Jones das Stück zum psychedelischen Jazz-Trip mit schwerem Orgel-Groove um, jetzt benutzen es Tone Loc und Queen Latifah als Grundlage für HipHop.

So gleitend, wie hier Zeiten, Plätze, Lebenswelten ineinander übergehen, erzählen sie auch die Geschichte eines schwarzen Realos, dessen Sorge Unterhaltung ist; der sich mit Henry Mancinis Paulchen-Panther-Melodie statt Marx oder Malcolm X beschäftigt und dem es beim Komponieren kaum Mühe macht, zwischen Pimp-Sounds und Olympia- Hymnen zu springen. Andererseits ist Quincy Jones mit dem Marsch durch die Produktion neben Bill Cosby zum einflußreichsten Afro-Entertainer der USA aufgestiegen. Daß er zudem wie eine Art Pate der HipHop-Szene gehandelt wird, sieht man auf der Grußliste von „Jook Joint“: Nur einige Namen hinter President & Mrs. Bill Clinton findet sich Snoop Doggy Dogg, auf Colin Powell folgt kurz vor Richard Pryor Gloria von Thurn und Taxis gleich nach Albert von Monaco – und Prince. Elfenbein wie Ebenholz, die Türme stehen gut.

Das Leben von Marvin Gaye wirkt daneben wie ein ungeklärtes Mißverständnis. Der Glam- versessene Soul-Crooner, der sein „Sexual Healing“ gerne am Broadway gesungen hätte, wurde 1983 vom eigenen Vater (und Baptistenprediger) im Streit über allzu explizite Vorlieben umgebracht. An diese „unglückliche Beziehung“ erinnert das Tribute- Album nur mit einem Satz. Statt dessen wird Gaye als visionärer Songwriter in den Himmel gelobt, wobei sich sehr wenige Fassungen ans Original halten. Neneh Cherry macht aus dem Cinemascope-Epos „Trouble Man“ ein verknarztes Stück Folk, Arrested Developments Chef-Rapper Speech hat von „What's going on“ nur ein Sample übriggelassen. So scheint sich die angeblich unnachahmliche Schönheit der Lieder bedenkenlos mit MTV und Calvin Klein abgleichen zu lassen. Bloß Madonna hält an der Stimmung von „I want you“ fest, und kein massives TripHop-Gefiepe kann sie in ihrem Klageton beirren. Lisa Stansfield dagegen imitiert selbst abgedriftete Kreischer hoch im Falsett und bleibt trotzdem steif wie Ute Lemper bei Brecht und Weill.

Kein Kult ohne retrospektives Mischmasch: Das nachempfundene „Marvin, you're the Man“ der Digable Planets löst sich in neuneinhalb Minuten Acid-Jazz- Poetry mit Grüßen ausgerechnet an die Eltern auf, aus deren Schallplattensammlung die Kids den Sänger kennen. Und auch seine Tochter Nona Gaye weiß nicht recht, wem der „Inner City Blues“ gelten könnte. Der wunderbare Schlenker ins Leere verebbt in ihrer Version mit Gitarrenfeedback, die letzten Zeilen danach fehlen – „Mother, mother, everybody thinks we're wrong / who are they to judge us?“ Harald Fricke

Quincy Jones: „Jook Joint“ (Qwest, Warner Brothers)

Diverse: „Inner City Blues“ (Motown, Polydor)

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