Zwischen den Rillen: Kathedrale und Zweckbau
■ Der aktuelle Stand des Motherfucker-Faktors: Busta Rhymes swingt mit Konsens-HipHop, die Geto Boys gangstern, und Bahamadia parliert im 70ies-Soul
Busta Rhymes ist zwar erst Anfang 20, hat aber als Mitglied der Leaders of the New School (die immer noch existieren sollen, aber nichts Genaues weiß man nicht) schon zwei Longplayers mitzuverantworten, über die die Meinungen sehr auseinandergehen, die aber ganz bestimmt nicht den großmächtigen Namen der Leaders einlösten. Was natürlich auch seinem Solodebüt „The Coming“ nicht gelingt, aber vielleicht nur deshalb, weil die Einordnung New School heutzutage eh keinen Sinn mehr macht.
Unverwechselbar machen dieses Debüt zwar die Fähigkeiten des Rappers Busta Rhymes, der fast demonstrativ auf technische Angeberei verzichtet, aber trotzdem allezeit eine unglaubliche Souveränität ausstrahlt, ob er in den entspannten Sprachfluß nun kleine Scatgesangslinien neben Ragga-Toasting einbaut oder Stimmlagen und Sprecherrollen übergangslos wechselt. Aber was „The Coming“ heraushebt aus der momentanen HipHop-Veröffentlichungsflut ist der vermittelte Eindruck, hier würde das Beste aus vielen Welten zusammengeführt, sowohl musikalisch als auch inhaltlich. Die Beats sind zwar zurückgelehnt und entspannt wie beim G-Funk aus Hollywood, aber bei weitem nicht so funky, sondern eher geradeaus wie von der Ostküste, von wo der Mann schließlich auch kommt. In den Refrains wird meist auf soulige Marshmallow-Melodien verzichtet (mal abgesehen von „Abandon Ship“ und einem Partyknaller, der auch noch „It's a Party“ heißt), aber Eingängigkeit ist kein Fremdwort. Friedlich nebeneinander finden sich gemeinhin als geschmackvoll eingestufte Jazz-Samples und kleine fiese Schleifgeräusche wie bei Cypress Hill, aber beschlossen wird „The Coming“ von einem Ausschnitt aus „Carmina Burana“. Ist etwas Uncooleres denkbar? Seine Raps erzählen genauso von der Straße wie über Prominente, ob nun Tom Cruise, Olivia Newton-John oder Howard Stern. Zwar sind sie explizit wie in einem kleinen witzigen Dialog zwischen den Geschlechtern („Next party, next man, thanks for the pussy sucking“, meint die Frau), aber prinzipiell ist der Motherfucker-Faktor niedrig. Kurz gesagt: Du darfst Konsens-HipHop dazu sagen. Und einen großen breiten Atlantik entfernt verschieben sich Einschätzungen manchmal gewaltig. In Spex schusterte Diedrich Diederichsen Busta Rhymes gleich den „endgültigen Durchbruch“ eines neuen Rap-Stils zu, während der amerikanische Rolling Stone zwar die „Kreativität“ des Rappers Busta Rhymes lobte, aber „The Coming“ „musikalische Unzulänglichkeit“ bescheinigte. Recht haben wahrscheinlich beide, und ratzfatz wurde das Solodebüt in die obersten Bereiche der Charts durchgereicht.
An den Geto Boys entzünden sich schon längst keine Diskussionen mehr, auch weil sie in ihrer Heimatstadt Houston zwischen West- und Ostküste festhängen. Dort in Texas haben sie statt dessen eine eigene kleine Welt entworfen, in der immer noch an eine Zukunft des Gangsta-Hardcore geglaubt wird und Funk- Weicheier schlicht ignoriert werden, ob die Acts nun Ganksta NIP oder 5th Ward Boys heißen.
Und auch die Geto Boys selbst fügen ihrem etablierten und ja nun auch irgendwie okayen Ansatz kaum etwas Neues hinzu. Schon früh auf „The Resurrection“ wird in „Still“ die aktuelle Lage analysiert, festgestellt, daß sie sich sicherlich nicht zum Besseren verändert hat und „Die, motherfuckers, die!“ empfohlen. „The World is a Ghetto“ ist nicht nur ein Remake eines eigenen alten Songs, sondern bestenfalls eine Zustandsbeschreibung über „drugs and guns“, auf den neuesten Stand gebracht. Dabei groovt dieser Song so melancholisch, schmalzt der Refrain so pathetisch, daß man fast meinen könnte, die Geto Boys hätten sich zuletzt Elvis Presley in „In the Ghetto“ zu Gemüte geführt.
Aber das sind kleinere Schwachheiten, und mal abgesehen von der im aktuellen HipHop inzwischen recht einmaligen Beschränkung auf die Darstellung des Lebens in der hood (und ihrer dramatischen Erhöhung inklusive), ist „The Resurrection“ eine Platte, die viele gute Erinnerungen an den inzwischen marginalisierten Hardcore zurückbringt. Und wenn es nur ein paar knallige Beats sind, die inzwischen allerdings eher als Soundtrack für einen realistischen Polizeifilm als für eine zünftige Party taugen.
Auf einer anderen HipHop- Insel scheint wieder neues Leben zu sein, aber vielleicht rechnet man Bahamadia auch nur ungerechterweise dem Jazzmataz- Umfeld zu, weil sie als Gastrapperin engagiert war und sowohl DJ Premier als auch Guru für „Kollage“ einige Tracks produziert haben. Tatsächlich wird auf dem Debüt der Frau aus Philadelphia so ziemlich jeder bewundernd erwähnt, der etwas zu sagen hat, ob nun der Wu-Tang Clan oder die Fugees. Und sie selbst verzichtet auf kaum etwas, nicht einmal auf das eigentlich völlig aus der Mode gekommene Scratching, aber zusammengesetzt wirken die Elemente dann plötzlich reduziert, ja gebrochen. Die Rhythmen sind oft entnervend lahmarschig, dabei des öfteren noch leicht verzögert und wirken dadurch wie roh und noch nicht abgeschliffen. In Songs wie „WorldPlay“ scheint sie auf der Suche nach einer alten, neuen Einfachheit, die zum Tanzen taugt, aber noch genug Platz für die Wörter läßt. Wo bei Busta Rhymes alles übersprüht und sich viele kleine Splitter zu einer großen Kathedrale zusammenfügen, nimmt Bahamadia wenige glitzernde Metallträger, um einen modernistischen Zweckbau in Leichtbetonbauweise zu schaffen, der schlicht und elegant ist. Und das trotz oder wahrscheinlich sogar vor allem, weil die Samples auf die große Zeit des Soul bis in die frühen 70er verweisen, auch wenn die Auswahl (Isley Brothers und sogar „Let's Get It On“ von Marvin Gaye) nicht gerade ausgefallen ist.
Was auffällt ist, daß Bahamadia in ihren Raps nicht mehr ausdrücklich auf ihre Rolle als Frau im HipHop eingeht, vielleicht auch nicht mehr eingehen muß. So wie Busta Rhymes nicht konkret politisch sein muß, um ein Statement abzugeben, so wie die Geto Boys ganz bewußt die Lage analysieren, um doch nur stehenzubleiben, findet Bahamadia – ausgehend von persönlichen Antworten auf Dinge – Antworten, die auf einer abstrakteren Ebene möglicherweise nicht zu finden sind. Auch wenn in ihrem so friedlich rollenden Fluß leicht verloren zu gehen droht, was sie zum Kampf der Geschlechter Tröstliches zu sagen hat: „Lust equals us.“ Thomas Winkler
Busta Rhymes: „The Coming“ (Elektra/WEA)
Geto Boys: „The Resurrection“ (Rap-A-Lot/Noo Trybe Records/Virgin)
Bahamadia: „Kollage“ (Chrysalis/EMI)
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