Zwischen den Rillen: Traumschiffpop für die Subkultur
■ Süßer die Synthies nie klangen: Songbaustein einlesen mit den High Llamas und Air
Sean O'Hagan ist ein Mann des guten Tons. Aber damit keine Mißverständnisse aufkommen: „Cold And Bouncy“, die neue CD seiner Band High Llamas, ist schon mehr bouncy als kalt und elektronisch. O'Hagan und seine vier Mitstreiter stricken auf 16 Songs die Legende vom guten Lied weiter, die wir aus den klassischen Beiträgen der klassischen Bands und Interpreten in ihren von Jugend und Naivität bereinigten Phasen kennen: Beach Boys, Steely Dan, Love, Van Dyke Parks, Todd Rundgren und Nick Drake, um nur die üblichen Verdächtigen zu nennen. Den Fans erzählt diese fein arrangierte Musik, was gerade in ihrem herzallerliebsten Paralleluniversum so passiert.
Die Pfeiler des Llamas- Sounds – wohltemperierte Chorgesänge, die Melodie frei umspielende Streicher, Vibraphon- und Bläserarrangements im Stile von Sixties-Soundtracks – geraten auch 1998 definitiv nicht ins Wanken, aber O'Hagan hat den Songs eben ein paar elektronische Schwingungen verpaßt. Was zweifelsohne auch zum guten Ton gehört. Aber wehe dem, der diese Band in ihrem gelassenen Rekontextualisierungs-Pop nur einen Moment lang unterschätzt. Kehrt man der Musik für ein paar Sekunden den Rücken, haben die High Llamas schon den entscheidenden Rhythmuswechsel hingelegt, der einen unwillkürlich stutzen läßt? Bin ich noch im gleichen Song respektive im richtigen Film?
Antworten und Gewißheiten gibt die Band natürlich keine. „Cold And Bouncy“ ist Musik, die sich nicht einmal als schönste Nebensache der Welt definiert, sondern sich – mit Verlaub – den Luxus leistet, einfach langweilig zu sein (vgl. die letzte Stereolab-CD). Im assoziationsarmen Raum des Post-Easy-Listening-Pop mit Blick aufs elektronische Wunderland geht das richtig in Ordnung für ein geneigtes, vorwiegend männliches Publikum ab 30 aufwärts, das abgeklärt genug ist, guten Geschmack für sich zu reklamieren, nach dem Motto: Wir haben schon Disco, Punk und Techno kommen und gehen sehen, Kinder. Uns macht keiner mehr verrückt.
Von Nicolas Godin und Jean Benoit Dunckel wird gerne kolportiert, daß ihr gemeinsames Projekt Air aus einem Achselzucken entstand. Als ein Freund die beiden Studenten fragte, ob sie nicht einen Beitrag für sein neues Label beisteuern wollten, wußten sie erst mal keinen Rat. Die Cover-Versionen, die sie bislang aufgenommen hatten, taugten wenig für die „Source Lab“-Compilation, auf der Daft Punk, Dimitri From Paris und die kommenden Stars der französischen Dancefloor-Szene vertreten sein sollten. Der „Casanova 70“-Track, den sie später lieferten, war ein „Produkt“, wie es ausgefuchste Trendscouts nicht perfekter hätten designen können: ein reiner Atmo-Track auf langen Keyboard- und Streicherbahnen, verschweißt mit ein paar Bass-Akkorden, die entfernt an Mike Oldfields „Tubular Bells“ erinnerten. Irgendwie vollkommen hilflos in seiner geschmäcklerischen Leichtigkeit, irgendwie ein Monster von eigenen Qualitäten. Letztes Jahr ergatterte ich „Casanova 70“ beim bestsortierten Dance-Dealer der Stadt – eigentlich nur des Covers wegen. Es zeigt zwei auf Liegestühlen dösende langhaarige Frauen auf einer Terrasse mit kreisförmigem Betonmuster – hallo Seventies! Und hinten stapft der Herr, ganz in Weiß, ins maritime Szenario. Ein subkulturelles „Traumschiff“ auf Landausflug, von einem Hauch Ironie umspielt.
„Moon Safari“, das Debütalbum der beiden Franzosen, macht nun eines klipp und klar: Aus vollkommen abgesegneten und hemmungslos verkitschten Bausteinen der Postmoderne des Pop läßt sich fast eine Dreiviertelstunde Musik formen, die richtig ans Herz geht. Das schockt: Weil Liebe nicht ein Ergebnis von Cleverness sein darf, wie uns die gutbürgerliche Erziehung lehrte. Immens clever ist alleine die Architektur von „Moon Safari“. Analoge und digitale Klangerzeuger treffen in den Tracks von Air wie selbstverständlich aufeinander, Piano, Bass, Keyboards, akustische Gitarren und Bläser auf aktuelle Technologie. Auf keiner der vorhandenen Sound-Ebenen ist eine Aussage von Wichtigkeit oder gar eine Innovation abgespeichert, gemeinsam aber – und das ist das Geheimnis – sind sie stark. Süßer die Synthies kaum je klangen als beim potentiellen Hit „Sexy Boy“.
Selten überkam einen das Gefühl der Wiederholung so sehr wie bei „All I Need“, und in der Tat: Das Pianomotiv verwandten Air schon auf dem „Super Discount“-Sampler im Track „Solidissimo“. Aber gerade die Re-Inszenierung von Gefühlen und Sounds, die irgendwo im aufgeklärten Bewußtsein abgelagert sind (Sixties, Seventies und wieder die Soundtracks), verleiht den luftigen Kompositionen von Godin und Dunckel noch mehr als denen O'Hagans jenen allegorischen Raum, in dem sich trefflich tagträumen läßt. Perlende Pianoläufe, meine Güte. Daß ich das noch einmal erleben durfte. Daß Air jetzt gehörig Verehrung erfahren, gilt als beschlossen. Die bohemiasozialisierten Thirtysomethings haben schlußendlich ihren „Kuschelrock“ gefunden, garantiert luftgitarrenfrei. Frank Sawatzki
High Llamas: „Cold And Bouncy (Alpaca Records/V2)
Air: „Moon Safari“ (Virgin)
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