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Zwischen den RillenExil im Mainstream

■ In zwölf Jahren um die Welt: Frankreichs Rai-Dynastie Khaled, Cheb Mami, Faudel

Rai ahoi! Im Dunstkreis von Bordellen und Spelunken der algerischen Hafenstadt Oran zu Beginn des Jahrhunderts geboren, in den Achtzigern von einer frischen Generation junger Sängerinnen und Sänger, den Chebbas und Chebs, in ganz Algerien verbreitet, schwappte die erste Welle des Rai 1986 übers Mittelmeer.

Auf historischen Festivals in Bobigny und La Vilette gab die erste Garde des Rai, darunter Khaled und Mami, ihren Einstand in Frankreich. Seit diesem Datum hat der Rai seine Präsenz in Frankreich kontinuierlich gefestigt – befördert durch die Emigration fast aller namhaften Stimmen des Rai ins französische Exil. Und durch Integration in den Pop-Mainstream etablierte sich in Frankreich so etwas wie eine heimliche Rai-Dynastie, mit patrilinearer Erbfolge durch König, Prinz und Kronprinz.

Der König des Rai: Khaled, der längst den jugendlichen Ehrennamen Cheb abgelegt hat, ist entrückter denn je jenes Oberhaupt des Oran-Soul, zu dem er einst in Algerien erkoren wurde. Langsam, aber sicher hat der Pop-Monarch seinen Herrschaftsbereich ausgebaut in Richtung Welteroberung. Mit dem Dancefloorhit „Didi“ gelang ihm 1992 der kommerzielle Urknall des Rai, der noch in so entfernten Ländern wie Indien und Israel nachhallte. Vier Jahre später überbot er diesen Erfolg mit „Aicha“ nochmals um Längen.

Nach insgesamt vier Alben und unermüdlichem Um-die- Welt-Touren der beste Zeitpunkt, Rückschau zu halten und Fazit zu ziehen: Mit einer autorisierten Autobiographie, die eben in Frankreich erschienen ist. Und einem Livealbum, daß die Höhepunkte seines ×uvres der letzten zwölf Jahre noch einmal Revue passieren läßt. Khaled in concert bedeutet Khaled in seinem eigentlichen Element: Nicht umsonst heißt das Album „Hafla“, arabisch für Feier. In die feste Form eines Tonträgers gebannt, ist das zwar nur ein halbes Vergnügen, wie überhaupt das Format „Livealbum“ ein wenig überholt scheint – wenn schon, dann Remix. Doch für die sommerliche Grillparty im Freien bieten die fetten Bläser und funkigen Livearrangements die ideale Beschallung.

Der Prinz des Rai: Cheb Mami, aus der Stadt Saida, „der Glücklichen“, im Rai-Gürtel Orans stammend, agierte von Anbeginn aus einer Außenseiterposition. Vermutlich fuhr er deswegen schon früh und konsequent jene Globalisierungsstrategie, die ihn für sein internationales Debüt „Let me Rai“ 1990 in die USA verschlug. Er brachte Rai in die Disco und führte auf seinem zweiten Album „Saida“ erstmals Rai und Rap zusammen.

Das dritte Album „Méli, Méli“, in Frankreich aufgenommen, ist Cheb Mamis Meisterstück; hier tritt die Komposition nicht mehr hinter die Produktion zurück. Neben klassischen Liebesgesängen, die seit jeher den Rai ausmachen, mangelt es nicht an Abwechslung. In „Bledi“ trauert Mami zu andalusischer Gitarre um sein Heimatland.

Auf „Azwaw 2“ schreitet er, begleitet vom schweren Trommelschlag des Atlasgebirges, zum symbolischen Schulterschluß mit dem kabylischen Sänger Idir. Und mit „Parisien du Nord“ erweist er, flankiert von den Franco-Rappern K-mel (Alliance Ethnik) und Imhotep (IAM), der Banlieue seine Reverenz. Dort formiert sich allerdings schon die Konkurrenz.

Der Kronprinz: Faudel, geboren in der französischen Vorstadt, ist ein solcher „Parisien du Nord“. Sohn einer maghrebinischen Musikerfamilie, repräsentiert er die französische Nachwuchslinie des Rai. Community-Creditibility erwarb er sich im Vorprogramm für Khaled und Mami, mit dem Song „Dis- Moi“ knackte er gleichzeitig die frankophone Radioquote und enterte die Mainstream-Medien: der erste Rai-Star made in France.

Auf seinem Debüt „Baida“ schmachtet der erst 19jährige schon wie ein Profi, fast wie ein jugendfreier Wiedergänger des 1994 ermordeten Love-Rai-Erfinders Cheb Hasni. Gute Aussichten jedenfalls, um mit seinem Mütter wie Töchter einnehmenden Charme zum Leonardo Di Caprio des Rai aufzusteigen. Selbstbewußt sagt er: „Die Hauptstadt des Rai ist nicht mehr Oran, sondern Paris.“ Daniel Bax

Khaled: „Hafla“ (Motor), Cheb Mami: „Méli Méli“ (Virgin), Faudel: „Baida“ (PMS)

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