piwik no script img

Zwischen den RillenSchwerstarbeit am Detail

■ Folk ohne falsches Pathos: Bedlam Rovers, Walkabouts, Ass Ponys

Haben wir eigentlich nur noch die Möglichkeit, uns auf Begriffe wie Zeitlosigkeit, Reise, Klassik einerseits oder Avantgarde, Modernität andererseits zu beziehen, wenn sich über gelungene aktuelle Musiken verständigt werden soll? Das erste Modell wäre nach dieser dichotomen Klassifizierung dem in die klassische Songform gezwängten, vermeintlich immer noch einem falsch verstandenen individuellen Ausdruck hinterherhechelnden Rockmusiker zugedacht, während das zweite im weitesten Sinne der subjektlosen Maschinenmusik überlassen wäre, dem „postelektronischen Dancefloor“, wie beispielsweise Achim Szepanski, Macher des hervorragenden Frankfurter Techno-Labels Force Inc., jüngst wieder postulieren zu müssen glaubte.

In diesem Zusammenhang ist es wieder einmal gewinnbringend, sich vor Augen zu führen, daß – was die erste Kategorie anbelangt – die meisten der wirklich überzeugenden, aktuellen Veröffentlichungen des letzten Jahres sich um ein weitgehend eher als konservativ oder altbacken verschrienes Zentrum wie Folk gruppierten. Die stilistischen Erweiterungen und Ausdifferenzierungen, die sich von Gruppen wie Fellow Travellers, Souled American, Slovenly, Shramms hin zu X-Tal im Kontext dieses Genres zeigten, entsprachen dabei exakt dem Umgang, den manche Journalisten mit den jüngsten Veröffentlichungen der Jazz-Größen Wynton Marsalis oder Joe Henderson pflegten: Entemotionalisierung im Dienste von Klarheit, Präzision und Distanz durch immer härtere Arbeit am Detail, an den oftmals gerne diffamierend mit „handwerklich“ bedachten Bestandteilen des Musik-Machens. Der Folk-Boom des letzten Jahres besaß zwar nicht ganz die inhaltliche Radikalität wie zu Hochzeiten (also um das Jahr 1988), der Output des kalifornischen SST-Labels zeigt aber dennoch, wie sehr eben erwähnte zeitgemäße musikalische Herangehensweisen, die sich vor nicht zu langer Zeit im Rock-Bereich vollzogen, heutzutage eher in einem Folk-Kontext angesiedelt sind.

Dem Folk-Begriff kommt hier eine gewisse „Container“-Funktion zugute. Per definitionem eigentlich nur auf Text und Songform festgelegt, konnte Folk, ohne in schlabbrige postmoderne Spielereien abzusinken, auf verschiedene Weise von anderen Einflüssen oder Backgrounds okkupiert werden: die so faszinierende wie neue Verankerung von Dub-Reggae in einem Folk-Zusammenhang auf der Fellow Travellers-LP „Just A Visitor“ ist hierfür nur ein Beispiel.

Gefiddelte Folk-Dances auf einer soliden Punk-Grundlage zu spielen wie die Bedlam Rovers auf „Wallow“, ihrer zweiten LP, ist vordergründig betrachtet natürlich nicht das Aufregendste oder Revolutionärste, Bands wie The Pogues oder The Men they couldn't hang hatten damit bereits Mitte der Achziger Erfolge. Die Bedlam Rovers klingen dabei auch noch so englisch, daß bestensfalls ihre engsten Verwandten ihnen glauben mögen, sie kämen aus San Francisco. Im Gegensatz zu diversen britischen Bands machen die Rovers, die neben dem Punk-Einfluß vor allem bei Fairport Convention in die Schule gegangen sein dürften, jedoch alles richtig: Sie integrieren gewinnbringend Ska („Difference“), schaffen es, Trompeten, Posaunen neben traditionelle Folk-Instrumente wie Violine, Banjo oder Accordion zu stellen, besitzen mit Caroleen Beatty eine klasse Folk-Stimme (wenn auch keine Sandy Denny) und tappen vor allem nicht in die Falle, in der gar manch andere Kombination von Folk und politischen Rebellen-Songs begraben liegt: sich dem korrumpierend-schönen Pathos, das sich meistens dann einstellt, wenn (politische) Verzweiflung auf gar zu schön-melancholische Harmonien trifft, ohne Gegenwehr hinzugeben – und darüber die Wut, die der Verzweiflung zugrunde lag, zu vergessen.

Das Bemerkenswerte an den Walkabouts war bereits vor einigen Jahren die Tatsache, daß sie Folk-Elemente in den engen Core-Kontext des in Seattle ansässigen Sub Pop-Lebens getragen haben. Gegründet bereits 1984, nachdem Carla Torgerson und Chris Eckmann (beide Gitarre und Gesang) den gemeinsamen Job in einer Fischkonservenfabrik in Alaska geschmissen hatten, hat man auf der fünften LP „New West Motel“ zu einer nie gekannten Souveränität im Umgang mit den eigenen Mitteln gefunden und ein definitives Meisterwerk geschaffen. Vorwärtspreschende, von einem gnadenlosen Beat getragene, mit mäandernden Gitarren durchzogene Kleinode amerikanischer Mythenbildung, Musik, die erhaben wie von der Natur geformte Felsbrocken stoisch irgendwo in der Landschaft steht und keiner Rechtfertigung bedarf. Diese Platte steht im Geist großer amerikanischer Songs von Robert Johnson bis Jeffrey Lee Pierce und hat wirklich nur ein Thema: Amerika oder wie Georg Seeßlen mit Blick auf die Filme John Fords einmal gesagt hat: die Suche nach einem Land, das so schön hätte sein können, aber auf ewig seine Unschuld verloren hat.

Nach diesem Brocken wirkt eine Platte wie „Grim“, die zweite LP der Ass Ponys aus Ohio, erschienen auf dem Fellow Travellers-Label „OKra“, leider etwas zu beschaulich und selbstverliebt witzig, um die oben genannten Folk-Qualitäten auf ein zeitgemäßes Level zu heben. Die musikalisch von Bands wie den Feelies oder Violent Femmes beeinflußten, textlich eher zu den bizarr- komischen Verschrobenheiten diverser auf Shimmy Disc versammelten Bands tendierenden Songs sind zwar angenehm zu hören, zeigen aber auch eine Gefahr, die Folk mit sich bringen kann, wenn man den vielen kleinen netten Ideen und Jokes, die man den Tag so hat, einfach weder genug Distanz noch Härte entgegensetzen kann. Christopher Emrich

Bedlam Rovers: Wallow

(Spirit/Normal)

Walkabouts: New West Motel

(Sub Pop)

Ass Ponys: Grimk

(OKra/Normal)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen