Zwischen den Rillen: Depression als Genußmittel
■ Zwei Platten mit Mark Eitzel, dem Lazarus der Songwriter
Tim Buckley starb an einer tödlichen Kombination aus Alkohol und Heroin, Nick Drake an einer Überdosis eines Antidepressivums. Bei beiden wird man nie erfahren, ob es Selbstmord oder Unfall war. Beide sind große Singer-Songwriter der Sechziger/ Siebziger, die allenfalls Achtungserfolge und Kritikerlob bekamen — vielleicht, weil ihre Songs melancholisch waren, ohne sich sentimental an anderer Leute Leid (vorzugsweise schwarzer Blues wurde in der Musikgeschichte zum selbstverlorenen Luxusgefühlchen allzuvieler weißer Nachahmer) zu bereichern.
All das gilt auch für Mark Eitzel. Mit dem Unterschied, daß er noch lebt. Mit dem Unterschied, daß er in den Achtzigern begann, Platten aufzunehmen – und es nach wie vor tut. Auch bei ihm ist man geneigt, nach einem anderen Wort für das so oft verlogen und falsch eingesetzte „Authentizität“ zu suchen, einem Wort für die Erdung einer großen, tragischen Musik in einem großen, tragischen Problem.
Wenn ein schwarzer Bluessänger Depression oder Melancholie vertont hat, geschah dies immer gegen den Hintergrund einer sozial existentiellen – nicht bloß individuell existentialistischen – Not. Und jeder Versuch, das daraus resultierende ästhetische Modell aus einer privilegierteren Position sozusagen „eins zu eins“ zu beerben, muß notwendig falsch und verlogen sein.
Mark Eitzel hat mit seiner Band „American Music Club“ auf bisher sechs Platten (plus einer Live-Soloplatte) unter Beweis gestellt, daß sein Seelenheil nicht bloß selbstverliebt genossenes Stilmittel ist. Es hat schon etwas Zynisches, wenn man feststellen muß, daß ein Songwriter wie er erst massiv in Krankheit und Drogen (in Eitzels Fall Alkohol) verstrickt sein muß, um berechtigterweise öffentlich zu leiden. Die Rolle des Zuhörers bleibt dabei immer auch eine, die die Ausbeutung dieses Leids zum eigenen (wenn auch nicht sadistischen) Genuß miteinschließt.
Deshalb hat es nichts von Erfolgsgeilheit, wenn Eitzel in Interviews – sozusagen als Gegenleistung für dieses Gefühls-Ausbeutungsverhältnis – sein Anrecht auf einen Platz im Mainstream betont, der ihm bisher verwehrt geblieben ist: zu ruhig und zu kompromißlos schilderte er das Unerträgliche an der Depression, als daß eine versöhnliche Komponente die „Massenverträglichkeit“ gewährt hätte, die seine warme, gewandte und ausdrucksstarke Stimme für sich betrachtet schon verspricht.
Vielleicht wird jetzt alles anders: mit dem aktuellen Album „Mercury“ (das erste, das auf einem Major-Label erscheint), sind die aus San Francisco stammenden American Music Club zwar – dem Himmel sei's gedankt – nicht zur Adult Oriented Rock-Band mutiert, die gefällig Gefühlsderivate für den Hausgebrauch liefert; aber ihr atmosphärisch inszenierter Country-Folk-Balladen- Rock trifft auf eine Situation am Musikmarkt, die seit Chris Isaak die Pedalsteel-Gitarre (post-)modernisiert hat und mit Nirvana & Co sich auch mal ein Feedback- Röhren zumuten läßt. Zudem hat Eitzel – vielleicht sogar im Wissen um die Chance, mit der großen Plattenfirma im Rücken dem kleinen, dreckigen, unbeachteten Scheitern im Underground zu entgehen – seinen Songs mit den einfachen, großen Melodien stärker als früher einen manchmal fast nervös auflachenden Humor verpaßt, der die Depression mit Distanzpunkten versieht.
So legt er in dem (als Single ausgekoppelten) „Johnny Mathis' Feet“ dem alten Show-Entertainer seine Texte vor: „Johnny looked at my songs and said ,well at first guess never in my life have I ever seen such a mess‘...“. Mit seiner „rot-weiß-blauen“ Hand winkt Mathis dann über das glitzernde Hollywood und sagt: „A true showman knows how to disappear in the spotlight.“
Eitzel ist der richtige Adressat für diese Empfehlung, denn seine ganze Produktion kämpft gegen ein Verschwinden an, das es heimlich sucht: Den symbolischen Tod im öffentlichen Erfolg, der paradoxerweise ein privates Scheitern ist. Dazu zeichnet die Band einen melodramatischen, mit Streicherschmelz und elegischer Pedalsteel-Gitarre entworfenen Horizont.
Der Plattentitel „Mercury“ weist vieldeutig auf den Götterboten, der bei Eitzel in Gestalt einer Flasche kommt (auch der Titel des Vorgängers „Everclear“ bezeichnet einen hochprozentigen Fusel aus dem Süden der USA): „Oh stewardess will you fix me some mercury... I love all your little bottles of mercury“, singt er in „Challenger“ (wohl auch in Anspielung auf die Raumfahrtkatastrophe), einem kräftig und luzide treibenden Feedbackrocker, der einen der wenigen „lauten“ Momente auf der Platte setzt. Im nächsten Stück ist Eitzel zu verschwommen schwebender Pedalsteel schon wieder eine „mess“, seitdem ihn seine Liebe verlassen hat. Vieldeutig, wie gesagt. Die Vermutung ist auch nicht ganz abwegig, daß mit Mercury auch der an Aids gestorbene Freddy gemeint ist – in den Texten kommen mehrmals Bilder für das langsame Sterben vor („I feel time pass like a joy no medicine can preserve“).
Noch eine andere Band profitiert von Eitzel, dem Lazarus und Hiob in einer Person: die „Toling Midgets“ haben in ihm einen Gastsänger über die Gesamtlänge ihrer dritten Platte, der ihren – nah an englisch dunklem Wave-Melancholie-Gewaber entlangschlitternden – getragenen Rock davor bewahrt, nur ein Soundtrack für melancholische Herbstabende zu sein. Eine schwächere, weniger sicher die Stimmungen umsetzende Stimme als die Eitzels würde diese leicht psychedelische, zum Teil mit Streichern arrangierte Erhabenheit schnell in falsches Pathos umkippen lassen. Hier aber beweist sich, wie aus ein paar gequälten Stimmbändern „Schönheit“ entsteht, eine Schönheit, in der ein individuelles Problem nicht nur von sich selbst erzählt, sondern auch vom Blues der Welt.
Das zumindest gilt für beide Platten. Auf „Apology for an accident“ von der American Music Club-Platte singt Eitzel, als müßte er noch einmal auf den fast religiösen Charakter seines Alkohol-Blues hinweisen: „Well I have been praying a lot lately it's because I no longer have a TV“. Jörg Heiser
American Music Club: „Mercury“ (Virgin)
Toling Midgets: „Son“ (Matador/ Virgin)
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