Zwischen den Rillen: Eine kleine Angstmusik
■ Herbert Grönemeyer schachmatt im Chaos
Nein, die Beschönigung des Bestehenden ist Herbert Grönemeyers Sache nicht, man lese bloß die Titel der Songs auf seiner neuen CD: „Chaos“, „Die Härte“, „Land Unter“, „Fisch im Netz“, „Keine Garantie“, „Grönland“, „Ich geb' nichts mehr“ –, das spricht alles schon dermaßen für sich und verspricht so gar nichts Gutes...
Aber halt, fangen wir von vorne an. Der Titelsong „Chaos“, eine süß-saure Rockballade, steht mit Recht so exponiert, denn hier wird das Setting geschaffen, in dem wir uns in der Folge aufhalten werden. Es ist die gute alte „neue Unübersichtlichkeit“, die hier beschworen wird: „Theorien verblassen, die Propaganda ist platt / nichts gilt mehr, die Kirche schachmatt.“ Keiner weiß mehr. Ich nicht, Du nicht, und – was schlimmer ist – auch diedaoben nicht: „Unterschiede verwaschen / Ideologien haben sich selbst [!] überholt / überfüllte Taschen stehen ausweglos im Soll.“ Und deshalb ist es wohl auch schon „fürs Abstimmen zu spät / und keiner weiß, wohin die Reise geht.“
Einmal gibt es einen kleinen Spalt, durch den die depressive Grönemeyer-Welt aufzureißen droht: „Das Ende ist wieder offen, Existenz am Neuanfang“, heißt es da, aber schon droht die Natur, „das Heft in die Hand“ zu nehmen und unsere Gier zu bestrafen, indem sie „beinhart“ zurückschlägt. Der Refrain verschmiert die letzten Ritzen wasserdicht mit einer dicken Schicht kleinbürgerlicher Angst: „Wir schlagen wie wild mit den Flügeln / daß uns der Absturz verschont / können ohne Halt nicht leben / sind Regeln gewohnt / können uns drehen, können uns winden / es herrscht das Chaos.“ Der Song ist, man glaubt es kaum, als Bekenntnis zum Ungefähren, zum Offenen und Fließenden gemeint – denn „Ruhe gibt's genug nach dem Tod“ –, gerade darum ist das Mißlingen so bezeichnend. Grönemeyer fallen einzig Bilder der Angst ein, wenn „jede Ordnung verschwimmt“: „Räume werden enger“. Er artikuliert die Panik der Risikogesellschaft, in der ständig etwas schiefzulaufen droht und keiner mehr die Pläne kennt – die Schrecken der Komplexität.
Aber er ist auch ein Barde der allgemeinen Angestelltenverdrossenheit, dem es überhaupt nicht paßt, wenn alles ruhig seinen Gang geht und ein Tag im Büro dem andern gleicht: „Auf dem Boden der Tatsachen / gibt es nichts zu lachen.“ Der allgemeine Konsumrausch wird gegeißelt („Kaufen alles, brauchen nichts / zahlen unsere Knöpfe / normen unsere Köpfe“), das blöde Gerede der anderen abgestraft („es biegt sich die Tafel / unter betroffenem Geschwafel“), und die Talk-Show-Pest, die der Künstler selber gerne nach Kräften füttert, kriegt hier ordnungsgemäß ihr Fett weg („Verblödung talkt aus den Experten / auf viereckigen Eitelkeitsmärkten / hochprozentige Einschaltsidiotie“).
Aus dem Geist der Nörgelei kann bei einigem Talent, und vor allem wenn sie mit gewisser Ungehemmtheit betrieben wird (vgl. The Temptations: „I ain't got nothing“), etwas äußerst Graziöses entstehen. Grönemeyers Nörgelei endet immer wieder im Diffusen, beim kulturkritischen Common sense. Der magenkranke Studienrat beschwert sich, und immer bleibt am Ende etwas Miefiges, Muffiges in der Luft stehen: „Die rosa Wolken sind verflogen / in den Köpfen kalte Wut / dicke Luft in den vier Wänden / irgendwie ist nichts mehr gut...Ich seh kein Land / Ich seh kein Ende / seh kein Ein / seh kein Aus / Frust und Gewalt legen Brände / ich will wieder nach Haus.“ So geht das hin und her zwischen ungehemmter Apokalyptik und gehemmtem Ausbruchwunsch, und da ist kein Ausweg, nirgends. Auch die Frauen sind in Grönemeyers Welt kein Trost. Kaum faßt ihn eine unverantwortlich an, wünscht er sich: „Mach mich dem Erdboden gleich.“ Kein Wunder, daß der Katzenjammer kommen muß: „Dein Treiben ermüdet“, heißt es in einem anderen Song, „du spielst die falschen Szenen / lieb dich ohne mich.“
Natürlich gibt es auch auf Grönemeyers neuer Platte das momentan scheinbar unvermeidliche Lied gegen Skinheads („Die Härte“). Darin finden sich allerlei vage Mutmaßungen über die Gründe dieser männlichen Gewaltkultur („vor sich selber auf der Flucht“; „auf der Suche nach einem Führer“). Schließlich aber läuft der im Ska-Rhythmus dahinpluggernde Song auf eine sterile Distanzierung von dem rechten Mob hinaus, der man wenig mehr entnehmen kann, als daß Neonazis „feige“ und „beschränkt“ sind. Das Problem solcher gesungener correctness-Gesten ist: sie befestigen bloß ein Weltbild, das sich offenbar gefährdet sieht. Am Ende bleiben bei Grönemeyer keine Fragen offen, weil niemals welche gestellt wurden. Das läßt sich nicht besser illustrieren als durch eine etwas mißratene Zeile aus dem Titelsong „Chaos“: „Antworten laufen Amok.“ Jörg Lau
Herbert Grönemeyer: „Chaos“ (EMI/Electrola)
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