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Zwischen den RillenEndgültig entfleischlicht

■ Neu auf MTV-„Unplugged“: Rod Stewart und Neil Young

Rock'n'Roll ist zwar nicht mehr Teufelsmusik, hat aber im fortgeschrittenen Alter eine Menge mit Todeserfahrungen zu tun: MTV hat alle Sterbens-Rituale umgekehrt. Wen die Rockmusik noch immer nicht unter die Erde gebracht hat, dem kann nun auf Satellitenwege das Leben sogar verlängert werden. Schon der bereits absolut totgesagte Eric Clapton erfuhr seine wundersame Apotheose mit einer traurig-einsamen Live-Aufzeichnung aus dem Fernsehstudio – seine Bekenntnis-Ballade an den früh verstorbenen (!) Sohn „Tears in Heaven“ (!!) wurde 1992 zum Song des Jahres gewählt. Jetzt sind Neil Young und Rod Stewart im Begriff, es Clapton in Sachen Unsterblichkeit gleichzutun – mit denselben Mitteln.

Die Ausgangsposition für den Erfolg ihrer „atmosphärischen“ Live-Mitschnitte ist günstig. Auf einem Sender, der 24 Stunden am Tag seinen Willen zur Jugendlichkeit mit stetem Blick auf den Unterleib seiner Stars beweist und überprüft, strahlen so alte Knacker wie Clapton, Stewart oder Young, zusammengekauert im Sitzen, „unplugged“ auf der akustischen Gitarre vor sich hinschrammelnd, eine eigenartige Faszination aus – als wären sie von einem fremden Stern.

Genau diese einschnürende, isolierte Fremde gibt ihnen den Handlungsspielraum wieder, der beim üblichen Monster-Rock- Spektakel verschwunden ist. Man merkt Rod Stewart die Freude an, mit der er in Erinnerungen schwelgt, als säße er mit guten Freunden aus der Faces-Zeit beim Weihnachtspunsch zusammen. Ohne viel Gewese macht er aus „Hot Legs“ und „Tonight's The Night“ gut gestampfte Folk- Balladen, johlt reibeisern zur Begrüßung Ron Woods, seines alten Kumpels an der Gitarre, und wickelt dann „Maggie May“, „Every Picture Tells a Story“ und „Cut Across Shorty“ mit einem Affenzahn ab, als würden die Pfleger hinter der Bühne unmißverständliche Zeichen geben.

Nach einer halben Stunde ist klar: So jung werden Rod und Ron nicht wieder zusammenkommen – und mit Sicherheit auch nicht so schnell. Stewart schwenkt um auf Gospel um, und findet im „People get Ready“ der Impressions zum lustvollen Verzögern zurück, das er früher in – zumeist ziemlich unzweideutigen – Love-Songs ausfechten konnte.

Doch aus der Engtanzfete wird trotzdem nichts. Plötzlich scheint Rod Stewart trotz aller Hingabe zu bemerken, daß ihm bei seinem Geschäft einige Millionen Fernsehzuschauer auf den verschwitzten (und eben nicht mehr jugendhaften) Leib glotzen. Ein wenig zurückhaltender widmet er das folgende „Have I Told You Lately“ (ursprünglich von Van Morrison) seiner Frau – als müsse er sich mit diesem Gruß beweisen, daß er wirklich auf Sendung ist. Dann läßt auch die Stimme nach, die Lieder werden fahriger, und am Ende hat das Alter über die Leidenschaft gesiegt: „Stay with Me“ ist wieder lebensechte Routinemucke, „Having a Party“ zum Abschied überflüssig. Im Schlußakkord winkt er der Menschheit draußen hinter dem Äther zu.

Neil Young scheint sich im Angesicht der Videoüberwachung besser zu schlagen – er hat auch nicht allzu viel zu verlieren. Obwohl das geladene Studiopublikum gleichmäßig den Reigen durch die Geschichte beklatscht, gibt sich Young keine Blöße, was seine Neigung anbelangt: Er mag MTV nicht besonders, und das merkt man schnell. Jeder Song ein Tischgebet, schon das einleitende „Old Laughing Lady“ singt er nur für und in sich allein hinein – als hätte er mit Dylan und seinem Gott Frieden geschlossen; das nachfolgende „Mr. Soul“ gleitet beinahe ins Spiritistische ab.

Diese Stimmung dehnt sich dann dummerweise auf LP- Länge aus. Für „Like A Hurricane“ holt der Eigenbrötler das Harmonium aus der Scheune und drückt ein paar getragene Akkorde zur Besinnung – ohne aber das Lied von der Landkommunen-Revolte nur ein bißchen neu zu beleben. In seinem Elend festgaebissen klingt auch „Helpless“ wie ein nachgeschobener Abgesang auf Woodstock.

Und Young kann noch viel grausamer werden: Spätestens nach der endgültig entfleischlichten Fassung von „Harvest Moon“ hätte MTV ausblenden müssen, was Young schon nach 15 Minuten mit „Stringman“ ungerührt angedeutet hatte: „You can say the soul is gone, the feeling's just not there, not like it was so long ago“.

Aber selbst mit einem stimmungslosen Songwriter und einem Leadsänger ohne Stimme folgen die „Unplugged“-Mitschnitte einer bestimmten Produzenten-Logik: Als Konzertaufzeichnung sind die Platten identisch mit dem Fernsehgeschehen, Song und Video bilden eine lückenlose Einheit. Der „Live“-Effekt ist ein Trick der Verdoppelung, mit dessen gebündelter Authentizität gewöhnliche Mitschnitte naturgemäß nicht konkurrieren können. Statt eines exemplarischen Belegs für unzählige Tourdaten aus aller Welt bekommt hier jeder das gleiche und zudem einmalige Ereignis überspielt – während noch „Bob Dylan live at Budokan“ für die Mehrheit ein imaginiertes, aber abwesendes Konzert made in Japan war. Das hat nun ein Ende: Voll verschaltet und trotzdem echt, das ist MTV – „Unplugged“. Und die Toten werden wiederauferstehen. Harald Fricke

Rod Stewart: „Unplugged and Seated“

Neil Young: „Unplugged“

(beide WEA)

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