Zwischen den Rillen: Glam von gestern
■ Neu und schon so alt: Der Groove von Inspiral Carpets und Mother Earth
Lange hat die Parole vom Auflösen der Geschichte auch bei den Gitarren-plus-DJ- Bands nicht überdauert. Einmal zurück auf den Boden der Verkaufszahlen geholt, ziehen Rave und Acidhouse konservative Kreise: Die Raver von Primal Scream bis Inspiral Carpets machen richtig konventionellen Punk oder Hardrock, und am Acid hängen HipHop oder Jazz wie bei Mother Earth.
Dabei verwundert die echte Handarbeit gerade bei einer Band wie den Inspiral Carpets. Vor zwei Jahren hatten sie es auf halb live gespielten Konzerten geschafft, ein bißchen Parallelwelt in die allgemein regredierende Sixties-Musik zu holen: angenehm psychedelisch und prima unecht. Das sah nur aus wie die neuaufgelegte Warhol-Dia-Show, ansonsten aber wurden alle Velvet-Erwartungen enttäuscht. Statt Gitarren zu schrammeln, ließ sich die Mod-Band aus Manchester auf Tanzmusik ein und von Hacienda-Betreiber Mike „M-People“ Pickering großartig remixen.
Für „Saturn 5“ durfte nun der Berliner Trance-DJ Paul van Dyk einen High-Energy-Beat dazumischen, und auch im Video zu „I Want You“, der zweiten Single von „Devil Hopping“, wird getanzt. Aber heute wirkt der ganze wohlgedachte Frohsinn fehl am Platze: Zu bemüht purzelt die Gruppe in Ausgehanzügen durcheinander und um Mark E. Smith herum, der seinen schlechtgelaunten „Fall“-Kommentar ins Mikrofon nölt. Das ist nicht mehr die Camp-Nachfolge von ABC. In der Begegnung mit dem Alt- Punk entpuppen sich die Carpets als brave Begleitcombo mit Garagen-Erfahrung, gegen die der ungebrochen schmachtende Tom Hingley nicht erst anzusingen braucht. Plötzlich drücken Gitarren mit Surfmelodien wie bei „Uniform“ oder als Feedback-Grunge zu „Half Way There“ aus dem Hallraum durch – der Rockzirkus hat auch am Grund des Inspiral-Pop geschlummert. Und die Orgel kommt einem nicht mehr spacig vor. Wenn eine Rückbesinnung das Ziel war, sind die Inspiral Carpets angekommen, und das elegische „Just Wednesday“ verklingt wie eine viel zu schöne Erinnerung an den Glam-Realismus von gestern.
Auf ihre Art Fuß gefaßt im Betrieb haben Mother Earth, indem sie die Brüder-und-Schwester-Gefühle des Acid-Jazz ernst nehmen. Popkonzeptuell gilt Übertreibung – wie eine Etüde interpretiert das Quartett mitsamt seinen Gast-Schweineorglern, Soul-Streichern und Gospel-Backingsängerinnen den Spätsommer 1972 in Sachen schwarzer Musik: weg von der Motown-Ausgelassenheit, hin zu bedrückendem R&B der 110th Street, und noch ohne Disco in Sicht. Bei aller tief nachempfundenen Trauer hört sich der Leidgesang aufs symbolische Ghetto ganz hübsch an, ist aber stockkonservativ bis in den feinsten Break. Hier wollten hippe weiße Londoner Spät- Mods (selbst die Socken sind authentisch gestylt) nicht bloß den Sound einer Originalgeschichte nacherzählen, sie haben den Remix auch studio- und groovetechnisch geschliffen.
In der Genauigkeit des neuen Movin' und Groovin' erkennt man, daß keine Schwarzen am Werk sind. Wo die Meters verschludert, aber funky improvisieren, marschieren Mother Earth durch die Stücke wie Soul-Beamtete zum Dienst nach Vorschrift. Schon ihre erste LP „Stoned Woman“ wurde ob der Mimesis ans Average- White-Band-Mäßige gescholten, auf „People Tree“ klingen Balladen wie „Institution Man“ zwangsweise mit Curtis Mayfields Funk-Tremolo verschmolzen, und bei „Warlock of the Mind Pt.1“ benutzt der eigentlich doch ganz freundlich zugewachsene Gitarrist Matt Deighton ohne Kompromisse die Linien früher Santanas. Malerisch baut sich der rückwärtsgewandte Mix von Mother Earth nur dann auf, wenn sich die Band bei „Dragster“ portraitiert, wie sie ist: nicht zu jazzig, mehr im Acid rührend – der Steve Miller Band oder Traffic sehr viel näher als zum Beispiel Herbie Hancock und den Headhunters. Harald Fricke
Inspiral Carpets: Devil Hopping (Mute; Intercord)
Mother Earth: People Tree (Acid Jazz; Phonogram)
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