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Zwischen den RillenSchöner Wissen

■ Neue elektronische Musik als „Techno für zu Hause“: Cristian Vogel und Oval

Der Name hat schon so einen Glamour, der sich bloß bürgerlich einkleidet: Cristian Vogel. Das kommt einerseits von diesem Autoren-DJ-Bewußtsein (von Jeff Mills bis Sven Väth), den eigenen Namen einen guten sein zu lassen, andererseits ist da sein selbstbewußtes Anlehnen an die Konventionen der Ernsten Musik, wo es eben schon immer den Komponisten gab und nie ein komisches Pseudonym – wie eben sonst im Techno.

Ein chilenischer Engländer/ englischer Chilene in Brighton, steht Vogel auch tatsächlich zwischen den ziemlich wachen und hellen Aktivisten des dortigen Techno-Undergrounds und der Arbeit an der Musikhochschule, wo das ganze Stockhausen- Zeugs rumsteht und sich prima in den Maschinenpark eines up-to- daten „Intelligent Techno“-Machers integrieren läßt. Der Urhebervermerk „All Rhythms / Textures / Structures / Timbres written and produced by Cristian Vogel“ markiert die Begrifflichkeiten, in denen sich diese Art der musikalisch-sozialen Positionierung vom Begriff „Song“ und selbst vom Begriff „Stück/ Track“ weghebt.

Aber Vogel bleibt voll konsensfähig. Das ist die Platte für den Weg von zu Hause in den Club, auch virtuell gedacht: In den Stücken – pardon, Texturen, Timbres – selbst ist schon die zurückgelehnte, den Kopf geneigt haltende Hab-acht-Hörerschaft zum Aufstehen und Rumzucken verführt. Ohne daß Vogel das Chargieren zwischen verschiedenen Soundtraditionen und rhythmischen „Gleisen“ (insgesamt wie innerhalb der einzelnen Tracks) den Bedürfnissen des geraderausgehauenen „Jetzt geht's ab“ unterordnen müßte, ergibt sich eine souveräne Funkyness an den Rändern der sich untergründig aneinander reibenden Electronic-Klangstückchen.

Vogel stellt die Balance zwischen Club und Haus immer wieder her, indem er beispielsweise ein altbekanntes, straightes House-Handclap mit sehr verspielter Hi-Hat und Bassdrum kombiniert (der Opener „Machine“). Aus wenigen Einzelelementen zusammengefügt, läßt sich durch die Reduktion hindurch die Grenze abtasten, bis zu der Geräusche und Rhythmiken noch kommunikabel bleiben und mit den Soundtraditionen, die sie „anspielen“, auch Erinnerung wachhalten.

Das letzte Stück „No Time Remaining“ ließ mich mit seiner stotternden, suchenden Umkreisung einer dann doch nicht gespielten Melodie an Heaven 17s „Geisha Boys & Temple Girls“ denken, wo das Melodie- Versprechen am Anfang des Stückes allerdings mit hymnischem Synthie-Pop eingelöst worden war (das war 1981). Am besten, um nicht zu sagen aufgeilendsten, funktioniert das Prinzip des Aneinanderreibens von Soundtraditionen bzw. rhythmischen „Gleisen“ in „Alien Conversation“, wo ein cool einfacher Synthie-Melodiefetzen rhythmisch zunächst auf einer straight- puckernden Blubb-Bassdrum aufsitzt, die Bass dann aber immer kurz so stottert, daß die Synthie-Melodie in den Offbeat rutscht und dadurch eine völlig andere Betonungsgestalt bekommt, was dann eine zischelnde Hi-Hat weiter rhythmisch ausdifferenziert.

Dieser tendenziell polyrhythmischen Technik bedient sich zum Beispiel auch Jeff Mills, genialer DJ aus Detroit, des öfteren, allerdings erreicht er den Verschiebungseffekt eher durch Hinzufügen und Wegnehmen, während Vogel, wie gesagt, einfach das Fortlaufende, zum Beispiel die Bassdrum, kurz und gekonnt stolpern läßt, um ungeübte Tänzer aus dem Tritt zu bringen. Vogels Variante wirkt uneleganter, in ihrer direkten Schnitt- Technik aber auch wieder gewagter.

Einen völlig eigenen Weg der sozusagen selbstgenerierenden Polyrhythmik gehen Oval auf ihrer zweiten Platte. Sie lösen die auf ihrem letztjährigen Debüt „Wohnton“ eingeführten Grundtechniken und Arbeitsweisen, die sie von der restlichen Pop- und Technowelt unterscheiden, von denen, die sie noch mit ihr verbanden. Was verband sie noch? Herübergerettete Popstrukturen, der eine oder andere Standard-Drumloop oder -Synthie-Sound, das gern gegebene Zugeständnis an die Funktionsharmonik, der Klang des gesungenen Wortes, Text.

Und was unterschied sie? Die eigentlich nur noch genial zu nennende Idee, durch das Absampeln von CD-Fehlergeräuschen (Knacken, „Hängen“ etc.) und anderen störgeräuschhaften Bits & Pieces ein neues, unverbrauchtes Soundreservoir für ein computergesteuertes, halbautomatisches, über MIDI (interaktive Koppelung von Computer, Keyboard, Sampler etc.) laufendes Musiksystem zu schaffen.

Mit der zweiten Platte nun laufen innerhalb dieses Systems Vorgänge ab, denen die Musiker nach der Bestimmung der Grundkoordinaten auf ihrer weiteren Reise allenfalls noch steuernde Klapse geben können: Die einzelnen Soundfraktionen strömen polyrhythmisch durcheinander, ohne chaotisch zu werden. Das hat einfach damit zu tun, daß jeder Loop sein eigenes Gesetz hat, seine eigene „Binnenrhythmik“, er aber mit allen anderen Loops gemeinsam hat, daß er sich im Abstand weniger Sekunden immer wieder wiederholt – solange die Koordinationsinstanz der Musiker nicht eingreift. So tariert sich beim Hören – vorausgesetzt, das läuft in einem nachvollziehbaren Tempo ab – jede Soundquelle gegen die andere aus, die Polyrhythmik wird vom Strom zum Netz, der subsonische Bass kommt plötzlich mit dem stetig kratzenden Geräusch im Vordergrund ins Gespräch.

Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen, die den Musikbegriff hier schon überholt sehen, kommt das kontrolliert automatisch Entstandene im schönsten Sinn als Musik an. Auffällig dabei ist, wie in der von Oval vollzogenen Verschärfung der Automatisierung und dem Zurücknehmen des popmusikalischen Eingriffs dennoch ziemlich berechenbar eine ganz bestimmte Ästhetik, nämlich ein suchend kontemplatives, sachtes Klangdesign hervortritt: vielleicht weil die offene Struktur der Sounds nur so noch im Hören nachzuzeichnen ist, schön bleibt, weil nur so das Soundsystem Oval noch atemberaubend sicher die Register der Psychoakustik ziehen kann.

Aber vielleicht werden Oval in Zukunft auch diese Vermutung widerlegen und fiese, aufgedrehte, scharfe Tracks produzieren, die endgültig jenseits von „Music as we know it“ und noch diesseits von Hörbarkeit sind; als endgültiger Beweis, daß es – in Analogie zu „Künstlicher Intelligenz“ – KM, Künstliche Musik, gibt. Jörg Heiser

Cristian Vogel: „Beginnung to Understand“. Oval: „Systemisch“.

Beide Mille Plateaux/EFA

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