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Zwischen den RillenSüßes Heim, Los Angeles

■ Die Rock-'n'-Roll-Teenage-Rampage-Sehnsucht des Tom Petty. Ein Adoptionsantrag in drei Spalten

Wahre Freunde glauben aneinander. Gott glaubte an Jesus und ließ ihn übers Wasser tapsen. Bob Dylan glaubt an Tom Petty und holt ihn regelmäßig an seine Bühnenseite. Tom Petty wiederum glaubt an den ewig jungen Rocker im Manne. Wenn Bob Dylan so etwas wie der liebe Gott ist, dann mag Tom Petty vielleicht nicht sein kleines Jesulein, aber immerhin einen prima Petrus vorstellen. Was wären seinerzeit die Traveling Wilburys – erinnern Sie sich: Dylan, Petty, Harrison, Orbison, Lynne – ohne Tom Petty gewesen! Tom Petty ist der meistunterschätzte Amerikaner in Europa. Ich habe das immer gewußt. Andere merken es spätestens dann, wenn sie selbst nach Amerika fahren.

Grundgütiger, was wird dem Mann hierzulande nicht alles angekreidet. Petty könne sich nicht entscheiden, ob er denn nun ein beinharter Rocker oder doch lieber Songwriter sein wolle. Er sei epigonal – dann doch lieber gleich Bob Dylan. Tom Pettys neuestes Album „Wildflowers“ wäre Kitsch. Gott! Noch nie gehört, daß Plagiate hin und wieder schöner sein können als Originale? Und: Hat Kitsch nicht grundsätzlich recht? Ist das Glücksgefühl, das einen mitunter bei – puh, wie ungerecht – „kitschiger“ Musik anfällt, auch kitschig? Ja, stellen wir doch noch einmal die Kardinalfrage: Sind Gefühle reaktionär?

Du gehörst unter die wilden Blümelein, singt Tom Petty gleich im ersten Track. Du gehörst irgendwohin, wo du dich frei fühlst. Kurz: Du gehörst an meine, Tom Pettys, Seite. Ach Tom, wenn du der Wildpflanzerich bist, so laß mich nur dein Wildblümelein sein! Sie, die Sie da blöde grienen, wissen ja nicht, wie es fühlt, den unstillbaren Rock-'n'-Roll-Drang in sich zu haben. Sie wissen nicht, wie es fühlt, seit mehr als fünfzehn Jahren, seit „Refugee“ nämlich, eine von der Welt verhöhnte Tom-Petty- Gläubige zu sein. „You don't know how it feels“ – bedeutungsvolle Pause! – „to be me.“

Sie, die Sie an Ihrem Frühstückstäßchen nippen, wissen nicht, wie es fühlt, wenn man beim High-School-Tanz vielfach angehimmelte Personen auffordern möchte, aber Kordsamthosen tragen muß. Tom Petty weiß es. Sie wissen nicht, wie es fühlt, sich vergeblich zu wünschen, „King“ zu sein und eine „Sweet Little Queen“ zu finden – respektive umgekehrt. Denn eher wachsen Hunden Flügel, als man selbst „King“ wird. Tom Petty weiß es. Und weil das alles so traurig ist, das mit dem „little space to fill“, dem „still dream time to time“ und dem leeren „place in my mind“, muß Heartbreaker Howie Epstein mit der Mundharmonika ran, muß Co- Herzbrecher Benmont Tench das Mellotron zücken, fährt Michael Kamen schweres Orchester auf: „Huhu“ – Verzeihung: „Ohu“ (Backing Vocals aus „Wreck Me“).

Dem derzeit fashionabelsten Musikproduzenten der USA, Rick Rubin (u.a. Johnny Cash), leuchtete Pettys kleines ABC des Rock'n'Roll ein: Das Gepäck des reinen Rock'n'Rollers besteht aus viel Unruhe, hinreichend Melancholie, Gitarre und (fakultativ) Zahnbürste. Und selbst Ringo Starr (ja, der!) war sich nicht zu schade, für „To find a friend“ wieder einmal aufs Blech zu hauen.

Sie, Leser, wie gesagt, wissen nicht, wie es fühlt, wenn man ein „old man born to rock“ ist und still versucht, the clock to beaten. Das wissen nur Tom Petty, seine Herzbrecher, Bob Dylan und all die Leute, die sich einfach noch einen Joint drehen und nachts auf einem Radio-Song dahinsegeln. Zuhause wartet gegebenenfalls ein sweet little girl und gibt acht, daß man nicht zu doll versumpft: „Rescue me .../ if I stay too long“. Aber genau das ist es ja, was unsereins an Tom Petty schätzt. Die von keines Gedankens Blässe angekränkelte Rock-'n'-Roll-Teenage- Rampage-Sehnsucht. Globales Fernweh bis ins hohe Alter. Diffuses Unterwegssein. Immer wieder auf die Schnauze gefallen, aber „head on down the road“, Alter! Süßes Heim, Florida! (Wo Petty 1953 geboren wurde.) Süßes Heim, Los Angeles! (Wo Petty jetzt lebt.) Kurzum: Süßes Heim!

Es wird ein ewiges Rätsel bleiben, warum in Europa soviel Phil Collins gehört wird, wo doch Tom Petty der kompetentere Künder aller Vorstadtträume ist. Der Mann, der sich selbst ab- und hocharbeitet, über die Wasserlinie und sonst was hinaus. Der einem „Little Darlin'“ seine besten Küsse und den Rest seines Lebens widmet – jedenfalls bis es Zeit ist, „to move on“. Mythen ohne Verfallsdatum, immer wieder frisch wie das Jesuskind zu Weihnachten. Petty balzt, schnöselt, gurrt und summt mit seinen schmalen Lippen; Rickenbacker, Danelectro und Akustische jaulen genau auf die richtige Art. Sorry, aber Gefühle können einfach nicht reaktionär sein.

Pettys zehntes Studioalbum hat den passendsten Titel, der sich denken läßt – „Wildflowers“. Solche, deren malerisches Wuchertum im Winter präzise für den sommerlichen Hausgarten ausgetüftelt wurde. Auch schön. Tom Petty hat sich inzwischen einen Bart wachsen lassen. Ich werde ihn trotzdem adoptieren. Sie wissen einfach nicht, wie es fühlt. Anke Westphal

Tom Petty: „Wildflowers“ (WEA)

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