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Zwischen den RillenStraight outta Haftpause

■ Gangstergeschichten der Neunziger: Slick Rick und Kool Moe Dee

Wer einmal ein Foto von Slick Rick in voller Montur gesehen hat, vergißt es nicht wieder: Ricky Walters alias MC Ricky D alias Slick Rick, ein schmächtiger Mann mit Augenklappe und vorstehendem Zahn, ist auf den kursierenden Ablichtungen stets mit solchen Massen von Goldketten, Ringen, Armbändern und anderen Juwelen behängt, daß man sich verwundert die Augen reibt. Ist das Mr. Geschmacklos höchstpersönlich, der da fordernd in die Kamera grinst?

Ist vielleicht doch ein wenig Ironie um seine Augen zu entdecken? Oder sollte man etwa den Code verpaßt haben und nicht verstehen, was der Flitter wirklich anzeigt?

Ebenso zweifelhaft schillernd wie das Outfit des stilbildenden Rappers ist seine Persönlichkeit. Mit seinem ersten Album „The Great Adventures Of Slick Rick“ (Def Jam, 1988) legte er den Blueprint für die smarten, spielerisch überzogenen Gangstergeschichten der Neunziger zu einer Zeit vor, als andere Rapper vorzugsweise den Komfort ihrer Turnschuhe priesen; seine flott gereimten Berichte über schicksalhaftes wie selbstverschuldetes Ghetto-Unheil zogen dabei aus der Gleichzeitigkeit von Verständnis, Ablehnung und eigener Erfahrung eine zusätzliche Spannung.

Slick Ricks rappend aufgebaute Gangster-Persona wurde jedoch auf bittere Weise real, als er 1990 zwei Männer niederschoß, die sich angeblich seiner Goldketten bemächtigen wollten, und sich danach eine wilde Verfolgungsjagd mit der Polizei lieferte.

Seit diesem Zwischenfall sitzt er im Gefängnis. Die Vokalparts für das vorliegende Album, dessen Titel „Behind Bars“ (= „hinter Gittern“) kaum treffender sein könnte, nahm er vor drei Jahren in einer dreiwöchigen kautionsbedingten Haftpause auf. Trotzdem ist „Behind Bars“ kein Stück altmodisch, ganz im Gegenteil: In den drei Jahren, in denen Slick Rick weg vom Fenster war, hat sich die Rapwelt eher auf ihn zubewegt, als daß sie an ihm vorübergezogen wäre: Snoop Doggy Dogg und Warren G, die G-Funk-Trendsetter von der Westcoast, orientieren sich überdeutlich an seinem Vortragsstil und geben bereitwillig zu, daß der antisoziale Paradiesvogel aus der Bronx ihr großes Vorbild ist.

Auch auf „Behind Bars“ entwirft Slick Rick für jeden Song ein eigenes Szenario, das mit beträchtlicher stimmlicher Raffinesse am Leben gehalten wird (er hat die Angewohnheit, durch Rappen in verschiedenen Stimmlagen und ausgiebiges Samplen des eigenen Katalogs, praktisch ständig ein Zwiegespräch mit sich selbst zu halten) und zu zurückgelehnten Beats mit mäßigem Erfolg nach der Moral der Geschichte sucht. Der einzige Malus des Albums ist die den Umständen geschuldete Materialknappheit.

Wo Slick Rick humorvoll sein Garn spinnt, versucht Kool Moe Dee, den Gegner durch die schiere Macht seiner Coolheit zu besiegen – man trägt seinen Namen ja schließlich nicht umsonst. Drei Jahre nach seinem 91er- Meisterwerk „Funke Funke Wisdom“ meldet Moe Dewese sich im Zuge des Old-School-Revivals mit einem kämpferischen Album zurück. „Interlude“ enthält zahlreiche Tracks, in denen er durch die Reimenergie seines zungenbrecherischen Vortrags, die beim Namen genannte HipHop-Elite zur Anerkennung seiner Größe zu zwingen versucht.

Das klappt natürlich nicht, sein Angriff aus dem Feierabendheim funktioniert dafür (unfreiwillig?) als Brückenschlag zwischen heute und gestern, wenn er sich als „leader of the new school, master of the old“ apostrophiert: 1995 sind old, new und in between allemal zusammenzudenken, und der coole Rick und der slicke Moe machen vor, daß es sich auch in reiferem Alter noch relevant rappen läßt. Johannes Waechter

Slick Rick: „Behind Bars“ (Def Jam/Polygram)

Kool Moe Dee: „Interlude“ (Wrap/Ichiban)

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