piwik no script img

Zwischen den RillenZeitamputiert und abgefuckt

■ Ewige 70er auch in USA: Monster Magnet, Love 666 und Chokeboree

Gute Güte – dies stoische Revitalisieren der Siebziger hört wohl niemals auf! Irritiert und doch auch interessiert hörte man Bands wie Temple Of The Dog und Soundgarden zu, staunte über die Wiedergeburt von Aerosmith oder wunderte sich über eine Band namens Kyuss, die bis dato subsonischste Ausgabe von Heavyrock der Marke LedZep oder BlackSab. Auch Monster Magnet hatte man vor zwei Jahren (mit deren Wechsel zur Industrie) schon für durchgekaut erklärt, doch mit ihrem vierten Album „Dopes To Infinity“ holen die New Yorker zum Rundumschlag aus, um sich an die Rückeroberung einer Zeit zu machen, der sie als pubertierende Erwachsene nicht beiwohnen durften.

Dave Wyndorf von Monster Magnet, ein spindeldürres, langmähniges Männchen mit kreisrundem Bärtchen, ein Möchtegern-Gregor-Samsa kurz vor der Metamorphose, erklärt sich auch frei von der Leber weg als zeitamputiert. Weil ihm die späten Sechziger und frühen Siebziger in Bewußtsein und Biographie fehlen, jagt er mit Monster Magnet mehr wollüstig als schmerzvoll diesem Phantom nach, nimmt ultrapsychedelische Bombast-Rock-Platten auf; Alben, auf denen zudem von der häßlich spekulativen Fantasy-Coverart-Gestaltung über die Songtitel bis zum exzessiven Gebrauch von percussiven, helltönenden Rückkoppelungen alles detailliert darauf aus ist, der Zuschreibung „Space Rock“ möglichst nahezukommen – und damit, leider etwas unironisch, auch den Übervätern des Spacerock: Hawkwind.

Wyndorfs Welt besteht aus langen, fünf- bis achtminütigen Songs, in denen man, ist der Wille da, seine Räume neu erfinden kann; in deren Endlosschleifen Hineinwabern und Wegspacen erste Hörerpflicht ist; die aber, und das ist das Erstaunliche dabei, oft ganz zwanglos und hitverdächtig zum Merken und Mitträllern verleiten; die anbiedern und einnehmen, wie beispielsweise das Melodram „Dead Christmas“ oder das hurtige „Theme From ,Masterburner‘“.

Die Welt dickbäuchiger Gitarrenhändler von damals eben, Seventies ohne Ende. „Kids von heute sollten sich der Siebziger erwehren“, warnt zwar ausgerechnet Eddie Vedder von Pearl Jam (der selber davon profitiert), doch den in der Tat suchterzeugenden Monster-Magnet- Schlabbereien wird das kaum die Fans, gleich welchen Alters, abspenstig machen.

Ähnlich heavy wie Monster Magnet prügeln sich Love 666 und Chokeboree durchs Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Bloß ist deren Seventies- Rock-Bezug nicht Space, sondern Punk, und deren Trauma nicht das einer verlorenen Zeit, sondern das des fucking fascist America, dem man nicht entrinnt – schon gar nicht im Kopf. Beide Bands sind Ansammlungen schizophrener Gestalten, Leute, die wegen ihrer Haßliebe auf die Staaten soundtechnisch ständig die eigene Verrücktheit kultivieren, sich ganz gut gefallen in der Rolle des Schleims im allgemeinen Abfluß.

Love 666 vertonen das auf „American Revolution“ mit tonnenschweren, lauten Vor- und-zurück-Riffs. Straff klingen die Songs, herrisch und organisiert. Das echte Hard Rock America ist eines, wo jeder ein Gewehr zu Hause hat, und trotzdem: „It's Nothing but a party / U.S.A.“ Ihr jüngstes Album hat (inklusive dem wunderschön zweischneidigen Cover) echten Statementcharakter – weicht es doch nicht eine Note lang vom vorgegebenen Schema ab: Es ist eine paranoide, seltsame Welt, „you wouldn't understand“ (um es mit Monster Magnet zu sagen), so gib dem Tod halt eine Party.

Chokeboree sind Exilhawaiianer aus Los Angeles, die einhundertstelberühmt sind durch die Tatsache, daß eines ihrer Members Diedrich Diederichsen immer mit dem Taxi durch L.A. chauffiert. Bei ihnen klingt das schlechte Amerika nicht ganz so schlecht, was ihnen schon den Ruf eingetragen hat, alles zu rosig zu sehen. Chokeboree versuchen sich tatsächlich an melodiösen Bögen und manchem anheimelnden Hook. Zudem lösen sie dies ewig verzweifelte, gleichwohl wüste Problembewußtsein des ewig Ausgestoßenen gern mal so: „I just fucked my loneliness away, it helped me for a minute or two.“

Dann hören sie sich ein bißchen sehnsüchtig an wie die Smashing Pumpkins. Und das ist sehr rührend.

Gerrit Bartels

Monster Magnet: „Dopes To Infinity“. A & M/Polydor.

Love 666: „American Revolution“.

Chokeboree: „Anything Near Water“. Beide Amphetamine Reptile Rec./Efa.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen