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Zwischen den RillenBodenlos erotisches Looping

■ Wege der Freude: D'Angelo besingt „Brown Sugar“, Goldie fühlt sich „Timeless“

Das Faszinierende an Soul ist, daß man dort all diese sanft dahinperlenden Romanzen vom voller Geigen hängenden Himmel zu hören bekommt und doch unterschwellig immer gleich ins Grübeln, Stocken und Zweifeln gerät. Am Ende führt einen der Weg der Freude in heillose Depressionen, bloß nicht zum versprochenen Höhepunkt.

Darin unterscheidet sich etwa eine Platte wie Marvin Gayes „What's Going On“ von Händels „Messias“: Ein weißer Gott schützt keine schwarzen Verliebten, eher schon schubst er sie – Glöckchen hin, Streicher her – am Morgen danach wieder ins Ghetto zurück. Statt nun im Jammertal der Wirklichkeit laut loszuschreien, singt Marvin Gaye jedoch an der ergreifendsten Stelle seines „Inner City Blues“, daß niemand ein Recht hat, ihm diese Liebe kaputtzumachen – und hebt dann zu einem so zarten und feinen, fast aus der Luft herbeiströmenden Summen an, daß es nicht von dieser Welt sein kann. Zumindest in diesem Moment.

Wahrscheinlich hat D'Angelo bereits von Kind auf die beiden Seiten der Medaille kennengelernt – morgens Kirchenchor, abends Gaye. Was hier mit zuckerner Stimme, stark reduzierter Schwipp-Schwapp-Orgel und dem Stillstand nah programmierten Drums über Liebe dahergesungen wird, ist sehr, sehr düster. Der kaum Zwanzigjährige bohrt mit „Brown Sugar“ dort weiter, wo ein verbitterter Marvin Gaye sich 1981 hineingestürzt hatte, als er durch die Londoner SM-Clubszene irrte, auf der Suche nach „Sexual Healing“.

Für diese forcierte, wenn nicht harte Tour bleibt D'Angelo auf seiner ersten Platte praktisch allein. „Composed, written, arranged, produced and performed by D'Angelo“ ist eine der spärlichen Angaben auf dem Rückcover, das den Jungstar vor einer namenlosen Pension zeigt.

Zunächst ist alles nur aufgeladen und schwül. Das Schlagzeug groovt träge, die Orgel klingt verhalten, als hätte man ihrem Spieler vorsichtshalber die Augen verbunden vor dem, was auf ihn zukommt. Der Opener „Brown Sugar“ beläßt es dabei, die Vorzüge einer gut arbeitenden Zunge zu besingen, während die Musik mit Late-Night-Jazz zwischen Club- und Puffatmosphäre abwechselt; „Jonz in my Bonz“ geht schon etwas tiefer, und in D'Angelos weichem Gesangsorgan macht sich hysterisches Glucksen bemerkbar, wenn er von der Seitenlage berichtet. Dann ist Schluß mit lustig. „Shit, Damn, Motherfucker“ beschreibt in abgehackten Sätzen den Sex der neunziger Jahre: Irgend jemand schläft mit seiner Frau, während er in Handschellen angekettet zuschaut; die beiden auf dem Bett bluten wie Schweine; alle sind nackt. Und immer wieder umspielt ein gospelhaftes „Motherfucker“ das Geschehen. Doppeldeutigkeit, von der anderen Seite des Spiegels besungen: Der Soul von D'Angelo übertüncht nicht die Abhängigkeitsverhältnisse mit der symbolischen Gewalt eines HipHop, er zeigt sie aus der Perspektive des eigenen Begehrens auf. Vielleicht war Prince früher einmal ähnlich veranlagt – vor dem „most beautiful girl in the world“.

Was dem einen der Sex sind Goldie die Drogen – Halt durch bodenloses Stürzen. „Timeless“ ist die Reise ins Innere eines Acidheads. Es blubbert astral, schwebt auf Samples und Synthesizern wie ein silbernes Raumschiff dahin, fährt im Fahrstuhl rhythmisch durch die Windungen der Psyche und kommt nirgendwo an. Der Sound dazu ist Jungle, obwohl dem Debüt des 29jährigen Ex-Graffiti-Sprayers, -Dealers und DJs bereits das Label „Urban Blues“ angeheftet worden ist, bevor das Gewitter aus Breakbeat-, Ragga- und Techno-Mythen überhaupt niedergeprasselt ist.

Auch Goldie hat sich mit Gaye identifiziert: 20 Minuten lang setzt der Titelsong Zitate und Versatzstücke aus dessen 72er- Soundtrack „Trouble Man“ zusammen, streckt sie, loopt sie und dreht sich dabei wie irre bei 160 nervösen Beats auf der Stelle. Mit der Zeit formt sich das Ganze zu einer Art am Computer collagiertem Fusion-Jazz-Rock, einige Passagen verbinden Stanley Clarkes Pizzicatos mit dem glamourösen Disco-Bass auf „We are Family“ von Sister Sledge. Dabei ist Goldie wahrscheinlich gar nicht mal unstolz, wenn er in den Sphären des Handwerks dilettiert, als hätte er seine Stimmungswechsel fürs Guiness-Buch montiert. Der B-Boy liebt die Übertreibung, das Comic-hafte Schweifen seiner Musik, die mit den Trash-Bildern von Akira im Kopf tanzen geht: „Es wird dir die Seele rausreißen, sie auf eine verdammte Reise mitnehmen und sie dir am Ende zurückgeben“, so stellt sich der blondgefärbte DJ aus Wolverhampton, der einen prächtigen Pitbull sein eigen nennen darf, die Wirkung von „Timeless“ vor. Doch im Grunde fällt man nur unendlich tief, und dort ist es traurig, dunkel und bei aller surrealen Spielerei erzauthentisch. Das kitschige „Sea of Tears“ sampelt eine weinende Frau und kreischende Seemöwen, und sein hübsches „Adrift“ beschränkt sich für Minuten auf Lala-Gesang, bevor es nach den Sternen langt. Dann kommt der kleine Wirrkopf des „rough style“ der eleganten Weltferne von Marvin Gaye ziemlich nah – wenigstens für einen Loop lang. Harald Fricke

D'Angelo: „Brown Sugar“ (Cooltempo; EMI)

Goldie featuring Metalheads: „Timeless“ (Metronome)

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