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Zwischen den RillenRock 'n' Roll ist ...

■ Mit 30 erwachsen: „One Hot Minute“ von den Red Hot Chili Peppers

Während England einen Aufbruch zu neuen Ufern simuliert, greifen sie sich auf der anderen Seite des großen Wassers immer noch in den Schritt. Im Land der ewigen Jagdgründe bleibt man noch im größten Smog durchtrainiert, vegetarisch, gesund und konsolidiert sich. Um ehrlich zu sein: Um nichts anderes als Konsolidierung ging und geht es immer bei Rockmusik. Denn wir reden hier von Rock 'n' Roll.

Dem Rock 'n' Roll aus diesem alten Film mit dem Titel Sex & Drugs & Rock 'n' Roll. Was ab

surd klingen mag, weil die Red Hot Chili Peppers für ihre Funk-Einschmelzungen befeiert wurden. Berühmt aber haben sie nicht die wahnwitzigen Basslinien von Flea gemacht, nicht ihre hittauglichen Balladen, nicht einmal ihre Tätowierungen und Piercings und daß sie die, Scheiße noch mal, bestaussehendste Band des Universums sind. Nein, berühmt wurden sie, weil sie sich hin und wieder Tennissocken über ihre Schwänze zogen. Und wenn das nicht Rock 'n' Roll ist, was dann?

Rock 'n' Roll ist es auch, an Heroin zu sterben, wie es Hillel Slovak, ihr erster Gitarrist im Jahre 1988 tat. Rock 'n' Roll ist es, von ehemaligen Gitarristen verklagt zu werden. Rock 'n' Roll ist es, wegen Anstößigkeit vor Gericht zu stehen. Rock 'n' Roll ist es, bei Guns 'N' Roses einsteigen zu können, aber abzusagen, weil gerade Mutter und Tante ermordet worden sind – Gitarrist Dave Navarro, ehemals bei Jane's Addiction, sagte später den Peppers zu. Rock 'n' Roll ist es, jede Menge Filmstars zu kennen und wie Flea Bass in der Band von Johnny Depp zu spielen in dem Club, an dem Abend, an dem der beste Freund River Phoenix sich mit einem Drogencocktail verabschiedet.

Der Song, der früher einmal den Arbeitstitel „River“ trug, heißt nun „Transcending“ und beschließt bedeutungsschwanger „One Hot Minute“. Die Glöckchen klingeln, Anthony Kiedis singt „All we are is leaves that fall“, so, wie man solche Zeilen singen muß, um sich nicht lächerlich zu machen. Die nötige Zurückhaltung, das nötige Leiden. Eine Gratwanderung, die den Chili Peppers bisher hauptsächlich zwischen Humor und Klamauk gelungen war. Und selbst als Kiedis zu einer hendryxanbetenden Gitarre „Heart of gold, the most special things you gave me were from your loving stream“ kreischt, ist dies ein anrührender Moment. Man ist ja nur Zuhörer, man ist ja auch nur Voyeur. Viele dieser dunklen Momente sind auf dieser Platte versammelt: die Kindheit, die harten Drogen, die Depressionen. Hier werden Menschen mit Anfang 30 erwachsen.

Rock 'n' Roll ist es auch, John Lurie dazu zu bringen, bei einem gemeinsamen Auftritt sein Saxophon nackt zu spielen. Auf „One Hot Minute“ ist Lurie, wenn auch vermutlich angezogen, wieder dabei, er spielt Mundharmonika. Die Chili Peppers spielen Rock – nicht immer, aber immer öfter. Mit dem neuen, WahWah-erfahrenen Navarro dominiert die Gitarre weit mehr als früher, selbst beim wunderschön zurückgelehnten „Walkabout“, einem der wenigen deutlich gefunkten Stücke. Währenddessen hält sich der Bass von Flea, bisher den Chili-Peppers-Sound nahezu allein definierend, deutlich zurück, selbst wenn sie den Sly Stone machen wie in „Aeroplane“. Musikalisch ist „One Hot Minute“ ausgewogen, überlegt und wenig spontan. Und das möchte ja wohl auch sein, wenn man drei Jahre dafür gebraucht hat. Da gibt es eine Geige und ein schreiendes Gitarristenkind, ja sogar einen Kinderchor wie aus Pink Floyds „The Wall“. Pink Floyd! Die Chili Peppers haben zwar ihre Seele verkauft, ihr Bestes verloren, ihre berstende Ungeduld, ihre fiesen kleine Überraschungen. Aber dafür sind sie vom Teufel reich belohnt worden mit einer grandiosen Schweinerockplatte. Früher waren sie vielleicht blöde Rocker, jetzt sind sie auch noch auf dem Wege blöde Altrocker zu werden.

Los Angeles, Rock City, USA, ihre Heimatstadt, der die Peppers mit „Under the Bridge“ ein Denkmal setzten. Nicht umsonst heißt der bekannteste Stadtteil Hollywood. Trotzdem/gerade deswegen wird sich diese Platte massenhaft verkaufen, denn man wird sie lieben, man muß sie lieben, ich liebe sie. Die Red Hot Chili Peppers haben (wieder einmal im Verbund mit Schweinchenschlauproduzent Rick Rubin, wem sonst?) die für sie größtmögliche Annäherung an den Mainstream geschafft, ohne an sich selbst Verrat zu begehen. Das mag zum größten Teil daran liegen, daß sie selbst vor drei Jahren mit „BloodSugarSexMagik“ diesen Mainstream mit umdefiniert haben. Vor dieser Platte sah es noch aus, als wären sie das Auslaufmodell vom letzten Sommer, der Lollapalooza mit der Woodstock-Revival-Heckverlängerung. Jetzt sind sie eine Harley Davidson mit der Motorleistung einer Boing und dem Fahrkomfort eines Benz, kurz was der New Musical Express schon letztes Jahr prophezeite: „Die größte Band der Welt“. Da wird die ironische Mitteilung von Sänger Anthony Kiedis an die Rolling Stone, kurz bevor „One Hot Minute“ herauskam, zur völlig witzlosen Wahrheit: „Wenn es ein beschisseneres Wort als ,gereift‘ gäbe, würde ich es benutzen, um diese Platte zu beschreiben.“ Thomas Winkler

Red Hot Chili Peppers: „One Hot Minute“, WEA

Konzerte: 9. 10. Hamburg, 11. 10. Berlin, 12. 10. Köln

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