Zwischen den Rillen: Frank und frei die Sau
■ Lustig, aber kaum wirklich chaostauglich: Neo-Punk von Green Day
„Punk's not dead“, hieß es unverdrossen wehmütig auf vielen Lederjacken, als Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger schon alles gegessen war und der Punker sich vom Bösewicht und Bürgerschreck, zumindest im öffentlichen Bewußtsein (sagen wir: in Fußgängerzonen) zur tragischen, schnorrenden Elendsgestalt gewandelt hatte.
Nach mageren Jahren ist Punk allerdings wieder in vieler Munde, und jedes Kulturmedium hat mittlerweile sein Punk-Revival: das Fernsehen und Reißmüller die Chaostage, das Theater seinen Ben Becker und die Modewelt ihre Vivian Westwood. Auch die Popmusik hat ihren Punkrock wieder, wahlweise Neo-Punk oder Punk-Pop genannt, breiter rezipiert und erfolgreicher denn je: In Deutschland füllen die Toten Hosen und die Ärzte Stadien und große Hallen, in den Staaten tun das Offspring, Weezer und Green Day.
Mit letzteren hatte in Übersee vermeintlich alles begonnen, Green Day verkauften von ihrem Album „Dookie“ plötzlich und unerwartet Abermillionen von „Einheiten“, wie es im Plattenfirmenjargon so schön heißt. Das Trio hatte vorher schon zwei Alben gemacht mit schnödem Punkrock, der lokal und in Szenezusammenhängen ganz gut ankam, sich aber in nichts von dem auf „Dookie“ unterschied.
Ihr neues Album nun heißt „Insomniac“ und wird sich aller Voraussicht nach hundertmillionenmal verkaufen. Auch hier regiert der schnelle Zweiminütler, ganz traditionsgemaß gibt es in 33 Minuten 14 Songs, allesamt Gassenhauer ohne lange Halbwertszeiten, zu denen man frank und frei die Sau rauslassen kann. Natürlich haben Green Day ihre (Punk-)Sicht der Dinge, und im Gegensatz zu den deutschen in die Jahre gekommenen Kollegen, die sich mit erhobenem Zeigefinger und aufklärerischem Sozialarbeitergestus artikulieren, feilen sie noch an Texten und Worten, die wie ehedem klingen, vielleicht ein wenig gebrochener und weitsichtiger: „I'm a victim of catch 22, I have no belief, but I believe, I'm walking contradiction, and I ain't got no right“, heißt es in einem Song, in einem anderen: „I find my place in nowhere, I'm taking one step sideways, countdown from 9 to 5, hooray we're gonna die, blessed in our extinction.“
Ob das ihre Fans nun genau berührt und interessiert, ob das, mit Zehntausenden zusammen im Stadion gehört, aufrührerisch, cool, uncool oder reflektiert sein will, sei dahingestellt, zuallererst regiert halt doch der Spaß und nicht der Riot. Green Day versuchen trotzdem, auf diesem schmalen Grat zu wandeln, auch Erfolg macht nachdenklich, und verwundert sind sie weiterhin, warum ihre Musik nun ausgerechnet so smasht. So konnte es sich Sänger Bill Armstrong kürzlich nicht verkneifen, dem neuem Album kurzerhand ein paar Millionen Verkäufe weniger zu wünschen, um wieder mehr in Ruhe gelassen zu werden. Eine Aussage, die wir sinngemäß schon kannten von Kurt Cobain, der sich, als dem nicht so war, totschießen mußte.
Schuld an den Erfolgen von Bands wie Green Day trägt er denn wohl auch, ganz verweigern tut sich der Neo-Punk-Boom Erklärungen nicht, denn mit Nirvana wurde Punkrock in den Neunzigern salonfähig, und man kann, so man will, die Entwicklung einerseits als logische Konsequenz dessen sehen, andererseits auch als Reflex auf das, was dem Cobainschen Teen-Spirit zuerst folgte, nämlich die jammernden, leidenden Grunge-Klons, nennen wir sie Stone Temple Pilots oder Candlebox. Auch Teenager – und das sind die meisten Green-Day-Fans, legt man die Bravo-Charts zugrunde – wollen sich eben nicht immer für dumm verkaufen lassen, sind sie doch schon gar nicht in dem Alter, nicht auch mal Wehmut Wehmut sein zu lassen und tüchtig Jugendirresein zu proben. Da wiederholt sich die Geschichte: Geschwinder als damals natürlich greift diese Art von Punkrock in seiner Schnelligkeit und seinem Auf- den-Punkt-Kommen wiederum fetten, alt gewordenen Rock an, zumindest den, der in den Staaten gerade so üblich ist. Daß Punk nun in Stadien gespielt wird, keinen Papi und keine Mami mehr um ihre Kiddies fürchten läßt, ist dann schon fast eine Ironie der Geschichte, sicher nicht ihre Moral. Green Day sind satter Mainstream, und selbst wenn anzunehmen ist, daß ihre Fans nicht bei „Sid & Nance“ im „Ex und Pop“ sitzen, (noch) kein Geld für Frau Westwoods Kreationen haben, böse sind sie bestimmt nicht, und die Chaostage finden ohne sie statt.
No future ist kalter Kaffee unter diesen Umständen, bei Green Day scheint trotz „walking contradiction“ manches sehr hell, gehört 1995 der Jugend alles, den welken (30- bis 50jährigen) Alten nichts: „Mom and Dad don't look so hot today, but my future's looking good.“ Das reicht für feuchte Youngster Dreams, ist nur allzu gut zu kontrollieren und doch ganz herzallerliebst. Gerrit Bartels
Green Day: „Insomniac“ (Wea)
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