Zwischen den Rillen: Ein Eckchen der Mojave-Wüste
■ Ohne Worte: Neue Gitarrenmusik jenseits von Strophe und Refrain
Dem Song geht es schlecht. Seinen zeitgenössischen Formen trauen viele nicht mehr über den Weg.
Das zeigt sich zum Beispiel daran, daß die unverdrossenen Verfechter sich in den letzten Jahren in einem Revival traditioneller Songdarbietung gesuhlt haben. Erwähnt seien hier nur der Hype um Neo-Folk und die spät entdeckte Vorliebe für Country. Und auch MTVs „Unplugged“ diente ja nichts anderem, als den Song in seiner „reinen“ Form zu feiern. Begleitet wurde dieser reaktionäre Trend durch eine Unzahl von Cover-Alben, die angeblich großen Songwritern der Vergangenheit gewidmet waren. So eingeigelt mit Akustikklampfe, Liederbuch und den Re-Issue- Katalogen der Plattenfirmen hofft man, die weitgehend liedfreie Gegenwart aus Techno, Easy- und Electronic Listening, Dub und TripHop zu überstehen. Diese Spielarten zeitgenössischer Popmusik sind zwischen seichtem Hintergrundgedaddel und ernsthafter Klangforschung angesiedelt, und sie kommen ohne gesungene Strophe und Refrain aus.
Angesichts solcher Zustände schaut man mit Interesse auf Bands, die im normalen Rock- Outfit (also mit Gitarre, Schlagzeug und ähnlich altmodischen Instrumenten) Musik ohne Gesang machen. In den letzten Jahren fielen hier besonders US- Gruppen wie Tortoise und Gastr Del Sol auf, die an der Auflösung und Neudefinition von Songstrukturen arbeiteten. Sie schlossen damit an eine Radikalität an, die in den achtziger Jahren insbesondere von dem Label SST ausging.
Von da kommt auch die Band Pell Mell. Deren Mitglied Steve Disk hat sich ja schon früh in Klanggefilde vorgewagt, in die man sich heute kaum noch wagt. Auf dem Cover ist verzeichnet, daß er neben Klavier und Orgel für Noises zuständig ist. Pell Mell haben 1984, 1988 und 1991 Platten auf SST herausgebracht. In diesem Rhythmus, der keine Eile kennt, nun also „Interstate“. Dieser Titel, der Unterwegs- und Dazwischensein suggeriert, könnte auch den Wechsel der Plattenfirma meinen. Die neue, eine Majorfirma, scheint den gitarrenlastigen Instrumentals nicht ganz zu trauen, denn die Platte erschien gleich in der Mid-Prize-Kategorie. Massenappeal hat diese Musik nicht, obwohl sie unexperimentell und gut produziert ist. In ihrem Wechsel zwischen Ballade und Uptempo orientiert sie sich an Rockplatten mit Gesang. Den Wert allerdings gewinnt das Album, weil es die von Pell Mell seit über einem Jahrzehnt gestellte Frage weiterentwickelt, wie die uns ständig (in- und außerhalb aller Popformate) umgebende instrumentale Musik in die eigene Geschichte zu übertragen ist. Pell Mell aus Kalifornien finden dafür Antworten, die sich weitläufig um die Themen Surfen und Freeways gruppieren.
Bei Scenic aus Arizona ist das etwas anders. Ihr Thema ist die Wüste. Und zwar ausschließlich. Da wo sich sonst im Booklet der Songtext befindet, sieht man auf „Incident At Cima“ jeweils ein Eckchen der Mojave-Wüste. Wie zu erwarten ist, schleppt sich die Musik eher dahin, als daß sie marschiert (Ausnahme: „The Kelso Run“). Über einem einfachen Gitarrengriff ein Glide Guitar-Heulen, über einem simplen Akkordwechsel eine elegische Mundharmonikamelodie. Der Sound ist flach, alles klingt ausgedörrt. Einer Wüste eine Hommage zu machen, mutet seltsam an. Was man sich als unwirtliche Gegend vorstellt, in der immer nur die Sonne auf den Sand brennt, das verfolgen Scenic bis in die Details. Sehr gut ist das bei den zwei letzten Stücken nachzuvollziehen. Sie bearbeiten dasselbe musikalische Thema, und ihre Länge unterscheidet sich nur um Sekunden – das auf den ersten Blick immer gleiche gewinnt Differenz, wenn man nur genau hinschaut.
Daß „Incident at Cima“ eine Debütplatte ist, täuscht über die lange Geschichte hinweg, aus der die Band stammt. Wer sich noch an Savage Republic erinnert, wird vielleicht auch etwas von den kommuneartigen Lebensformen gehört haben, die sich um diese Band, diese „Republik“, in den achtziger Jahren geformt haben. Heute druckt man zwar nicht mehr seine eigenen Briefmarken, aber mittels der bandeigenen Siebdruckmaschine ist das schönste Cover des Jahres entstanden. Ein vielfach gefaltetes und ineinander gestecktes „Discfolio“. Die Zeit, die man bei gesungenen Platten damit verbringt, dem Text zuzuhören oder ihn abzulesen, falls er abgedruckt ist, kann man hier dazu benutzen, die einzelnen Teile immer wieder zu wenden und zu bewundern.
Eine lange Geschichte haben auch Dirty Three aus Australien. Mick Turner spielte schon bei den Moodists Gitarre, und Warren Ellis, der mit seiner Geige im Mittelpunkt steht, gehört zu den angesehensten Musikern des Kontinents. Auch hier Einfachheit. Die Gitarre gibt ein Thema vor, die Drums setzen ein und darüber entwickelt Ellis seine Melodien, die sich, was den Ausdruck anbelangt, zu heftig verzerrten Ausbrüchen steigern können. Es wird hörbar improvisiert. Wenn manchmal zwei aufhören wollen, macht der dritte weiter und zieht den Rest noch mal mit. Am meisten Track, am wenigsten Song ist das von Kim Salmon geschriebene „Kim's Dirt“. Zwölf Minuten repetierter Gitarrenriff, über dem Ellis undramatisch seine Tupfer setzt. Nach acht Minuten ein kurzer Tonartwechsel. Dann eintönig weiter bis zum Ende. Sehr schön. Martin Pesch
Pell Mell: „Interstate“ (Geffen/ Import)
Scenic: „Incident At Cima“ (IPR/Peace 95/Semaphore)
Dirty Three: dito (Big Cat/Rough Trade
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