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Zwischen den RillenTransglobal Overground

■ „Electric Griots“ aus Afrika: Salif Keita und Lokua Kanza

Daß Afrika vielen Jazzern, HipHoppern, Bluesern und sogar besseren Rockern als Land des Ursprungs gilt, sozusagen das innere Ausland des gereiften Gesamtpopbewußtseins, hat die Marktsituation für afrikanische Musik bislang wenig verbessert. Special-Interest-Labels, Special-Interest-Läden, Allround-Sampler sind gängige Verbreitungswege und Formate.

Immer mächtiger werdende Ausnahme: die sogenannte Weltmusik. Wer die Chance hat, der Regionalität zu entkommen, geht den Weg über Paris, wo Studios und Infrastruktur entwickelt sind – um den Preis, Verrat an den Ursprüngen vorgeworfen zu bekommen.

Salif Keitas neue CD „Folon“ ist ein soundgewordener Beweis mehr, daß „Weltmusik“, entgegen einer verbreiteten Annahme, nie Roots-Musik ist, sondern immer Weltpopmusik. Zwar führt das Booklet neben Gitarren, Keyboards und Bläsern auch ein Balafon (eine Art Xylophon), und in einem Stück wird eine Kora, die traditionelle afrikanische Laute der Sahelzone erwähnt; die Musik verleugnet ihre westafrikanische Abkunft nicht – und ist doch eine einzige Feier der gewonnenen Urbanität mit all ihren zwangsläufigen Synthesen. Aufgenommen wurde in Paris, abgemischt in den Londoner Metropolis-Studios, und das heißt: elegante, jazzige Bläsersätze, superfette Bässe, rundum opulente Produktion, die auch vor folkloristischen Effekten nicht zurückschreckt. Am Anfang des Titels „Sumun“ galoppiert ein Soundpferd stereophonisch von Box zu Box – bloß kein Understatement! Man soll die 48 Spuren, auf denen „Folon“ produziert wurde, auch hören. Dem ungenierten High- Tech-Level der Produktion entspricht als Typus die vergleichsweise junge Figur des afrikanischen Superstars – der allerdings immer eine innerkontinentale (und keineswegs „organische“) Karriere vorausgeht. Die Musik Salif Keitas war, genau wie die von Youssou N'Dour, Mory Kante oder Fela Kuti, bereits kommerzialisiert, lange bevor die neue globale Musikkultur sie auch nur andeutungsweise wahrgenommen hatte.

Im verborgenen hat sich sogar eine Legende gebildet, die sich heute wie die Heimholung bürgerlicher Dropout-Biographien liest: Als Albino von der Gesellschaft geächtet, entschied der Prinzensohn aus Mali sich für das Dasein eines „Electric Griot“, eines fahrenden Sängers, der die mündlichen Traditionen in die Technifizierung hineinträgt; um kein Gangster zu werden, schlief er am Rande der Marktplätze, unterhielt die Leute für Geld, bevor er die Rail Band du Mali gründete und später mit den Ambassadeurs berühmt wurde.

Den Zwang, „Ambassadeur“ zu sein, repräsentativ Botschaften zu formulieren – typisch für Produktionen, die aus der Marginalisierung kommen –, wird „Folon“ (auf deutsch: Vergangenheit) nicht los. „Wir sind die Nadeln des sozialen Gewebes, und die Musik ist unsere Naht“, singt Keita im Titel „Nyanyama“. „Folon“ ist eine Art Quersumme, ein frühes Spätwerk. Es gibt das Stück über Mandela und die Hoffnung auf Religions- und Rassenversöhnung, das Sehnsuchtslied der verlorenen Traditionen („Mandjou“, eine Neuaufnahme von Keitas größtem Hit), die Trauerhymne auf einen an Aids gestorbenen Freund – Messages, die unter der Last ächzen, die Erfahrung eines Kontinents mit den Bedingungen zu vermitteln, die diese Art des Broadcasting überhaupt erst möglich gemacht haben.

Denn gleichzeitig ist „Folon“ natürlich transglobaler Overground, spätkapitalistische, tanztaugliche Universalmusik mit Schnittstellen hin zu Dance, Trance, Disco. Von gar nicht so fern grüßen Sven Väths digitale Delphine. Man ahnt, was passieren wird, wenn „World Music“ Scratching und Sampling entdeckt.

Der zairische Gitarrist Lokua Kanza kam, genau wie Salif Keita, 1984 nach Paris, wo er die typische Karriere des talentierten new kid in town machte: Gastmusiker bei Manu Dibango und Youssou N'Dour, Songwriter- und Produzentenjobs, Auftritte im Pariser Olympia (im Vorprogramm von Angélique Kidjo). 1992/93 erstes Album, schließlich weltweiter Plattenvertrag mit dem Multi RCA/BMG.

Vom lokalen Idiom hat diese zielgruppenorientierte Öffnung kaum etwas übriggelassen – polyglott swingt sich Kanza durch zartbittere Lieder.

„Afrika“, wiewohl aufs lyrischste beschworen, ist nur noch ein getragenes „Yé yé“ der Backgroundsängerinnen im ansonsten chansonesk verklimperten Vorüberfluß der Arrangements.

Nenn es afrofrankomondiales Easy Listening – was gar nicht abwertend gemeint ist. Bevor diese Musik sich weiter ausdifferenziert, in die Splittersubjektivitäten der Reichtumsästhetik zerfällt, womöglich wieder separatistisch wird, will sie ihr Wörtchen mitreden in der bunten globalen Popökumene. Thomas Groß

Salif Keita: „Folon“ (Island/ BMG)

Lokua Kanza: „Wapi Yo“ (RCA/BMG)

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