Zwischen den Rillen: Herr der Mundstücke
■ Übt den Nach-Coltrane-Cry: Pharoah Sanders mit neuer CD
Über Pharoah Sanders zu schreiben heißt, mit dem Begriff der Aura zu spielen. Pharoah hat eine neue CD gemacht, deshalb schaut er dich zur Zeit von den Titelseiten der Jazzmagazine an. Sein Gesichtsausdruck verrät, daß er abwesend ist. Seine schwarze Brille, daß er jung geblieben, sein langer, weißer Bart, daß er etwas hat, was keinem anderen so schön gewachsen ist. Sein buntes Käppi schließlich suggeriert, daß er es ernst meint. Mit afrozentristischer Spiritualität und damit, daß er Pharoah heißt (und längst nicht mehr Farell). Der Opener seiner CD heißt „Message from home“ und hat einen Refrain, der abgenutzt daherkäme, wenn andere ihn singen würden: „Our roots began in Africa.“
Was hier Aura heißt, wird bei Pharoah durch den Echo-Effekt bewirkt. Er läßt das Saxophon weiterspielen, nachdem er es bereits aus dem Mund genommen hat. Als wäre sein Atem für Momente spirituell transzendiert, ein tonales Echo zwischen Raum und Stille. Das mag sich kitschig lesen, funktionieren tut's aber. Aura wirkt bei Pharoah durch Imagekompetenz. Wäre die neue CD ein Livemitschnitt, ließe sich dem hinzufügen, daß Pharoah Sanders neben dem zehn Jahre älteren Sonny Rollins der zweitletzte Jazzsaxophonist jener Generation ist, die das Publikum in den Bann zog, bevor auch nur ein Ton zu hören war. Das ist der Spirit der Sechziger, den Pharoah kultiviert hat. Zittrige Musik, laut und warm. Spirituelle Tiefe steht bei Sanders für das, was Journalisten mit außermusikalischen Codes zu beschreiben versuchen. Aura ist eben nicht sprechbar – das wäre eine Message.
Der Nach-Coltrane-Cry, den Pharoah durch Zirkularatmung in endlose melodische Schleifen integriert und perfektioniert hat, kann den Eindruck bewirken, es handle sich hier um Musik, die antikommerziell genannt werden soll und gesellschaftlich engagiert. Zu den Eigentümlichkeiten von Pharoah Sanders' Karriere gehört hingegen, daß ihm beides abgeht. Als er vor dreißig Jahren von John Coltrane engagiert wurde, spielte er Free und hatte nur ein Thema: Saxophonmundstücke. Als er drei, vier Jahre zuvor nach New York gezogen war, lebte er zunächst in der Arche von Sun Ra, einer hierarchisch geführten Musikerkommune. Als er die Arche zwei Jahre später verließ, hieß Farell Sanders aus Little Rock Pharoah und überlebte von Blut- und Kleingeldspenden in den New Yorker Straßen und U-Bahnschächten.
Wenn er heute von früher spricht, dann redet Pharoah über Mundstücke. Beim Abhören seiner alten Platten erinnert er sich an stundenlange Gespräche mit Coltrane über Mundstücke und gemeinsame Ausflüge in die Pfandleihhäuser, um Mundstücke zu testen. Pharoah ist in der Lage, sein musikalisches Leben nach Mundstücken zu ordnen. Den Mundstücken, von denen er sich zu früh trennte, und jenen Mundstücken, die er in seinem New Yorker Apartment aufbewahrt.
Pharoah lebt clean. Er ernährt sich vornehmlich von Obst, raucht nicht, trinkt nicht und verabscheut Drogen – auch wenn man beim Hören seiner Musik anderes ahnen mag. Pharoah bezeichnet sich als Homeboy. Seine Heimat ist der Raum, der zwischen einem C und Cis liegen kann. Temporäre Werkstatt: ein mit afrikanischen und asiatischen Teppichen geschmückter Wohnraum im Midtown, New York. Die Botschaften aus Sanders' Heimat haben afrozentristische Headlines, die mit der Tagespolitik eines Farrakhan nichts gemein haben, um so mehr mit den Sounds marokkanischer Gnawa-Musiker, mit denen Sanders letztens eine CD aufnahm, die es nirgends zu kaufen gibt.
Pharoah ist im Grunde ein erklärter Nicht-Jazzer. Ein Player für alle Fälle vielmehr, der sich mieten läßt und sich nicht rechtfertigen will für den Soundschritt, der bei solchen Produktionen schon mal abfallen kann. Als High-School-Kid trug er Schwarz – die typische Inszenierung mit Sonnenbrille und Schal – und malte sich einen kleinen Oberlippenbart dazu, um sich zu den Jam Sessions in die lokalen Jazz-Clubs zu mogeln. Manchmal hat man das Gefühl, als mogele er heute noch ein bißchen. Dann zum Beispiel, wenn er sich auf seiner neuen CD aus der Ethno-Groove-Kiste bedient und dazu melodiöse Versatzstücke aus seinem 69er Meisterwerk „The creator has a master plan“ intoniert, durch dessen meist unsägliche Covers und Samples er mehr Geld verdiente als mit allem, was er sonst gemacht hat.
Aber wenn du jetzt denkst, das liest sich ja wie eine Sanders- Karaoke-CD, dann liegste ganz falsch. Denn der Mann meint es ernst. Damit, daß er von Gott gesegnet ist. Und daß er seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr das aufnehmen durfte, was er eigentlich wollte. Weil zuviele Low-Budget-Produzenten ihn als Coltrane-Konservator mieteten und verramschten. Bis Bill Laswell, der Mann, der weiß, wie man Dinge produziert, von denen gestern noch keiner was hören wollte, den scheuen Sanders kürzlich zu einem Major-Deal mit Polygram drängte.
Nun hofft Sanders selbst auf gute Nachrichten. Denn seine guten gibt es jetzt zu kaufen. Die einen mögen dann die anderen bedingen. Ganz unauratisch. Chistian Broecking
Pharoah Sanders: „Message from home“ (Verve 529578-2)
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