Zwischen den Rillen: Keiner will singen
■ Der Rock lebt: „Code“ von Pearl Jam, „Horse Stories“ von Dirty Three
Zuerst die weniger gute Nachricht: Eddie Vedder ist immer noch am Lamentieren. „Seek my part... devote myself... my small self“, jammert er gleich im Eröffnungsstück von „No Code“. Später fragt der Mann dann: „Are we getting something out of this?“ und meint die Erfolgsgeschichte seiner Band Pearl Jam im speziellen und den Lauf der Welt im allgemeinen. Der arme, kleine Eddie mal wieder als Märtyrer, der stellvertretend für eine aus der Gesellschaft ausge-X-te Generation leiden muß, leiden will. Schon längst ist nicht mehr zu unterscheiden, ob er für die Rolle des Sündenbocks zwangsverpflichtet wurde oder ob er sich ihr willfährig selbst verschrieben hat, aber jetzt sitzt der Mann schon eine ganze Zeit in der Sackgasse.
Aus dieser versuchten Pearl Jam vor zwei Jahren mit dem weinerlichen Konzeptalbum „Vitalogy“ herauszukommen. Für ihre vierte Platte haben sie es etwas schlichter versucht. „No Code“ ist ein klassisches Rockalbum. 13 Songs hat es, und die sind mal schneller, mal etwas langsamer, immer schön abwechselnd. Auch die zugehörigen Stimmungen werden variiert: Zwischen tödlich betrübt und jauchzend ist fast alles dabei. Allerdings hat sich mit „Mankind“ ein Stück eingeschlichen, das man schon fast fröhlich nennen darf. Wenn auch diese Fröhlichkeit eher ironisch gemeint ist.
Das Tolle an „No Code“ aber ist, daß Pearl Jam nicht prätentiös werden. Das heißt, mit der psychedelischen Klangcollage „I'm Open“ passiert es einmal – aber eben nur einmal. Außerdem muß man ihnen anrechnen, daß sie durchaus über den Rand des eigenen Nabels blicken können: In „Around the Bend“ spielen sie erstmals mit Country, und in „Smile“ würdigen sie unverhohlen ihren Lehrmeister Neil Young, dessen „Mirror Ball“ sie im letzten Jahr einspielen durften. Auch liefern sie ein paar Rocker ab, die an die große Zeit von Seattle und an die dortige Aufbruchstimmung erinnern. Und selbst die Balladen sind so schnulzig, wie sie sein müssen.
Pearl Jam haben keinen Ausweg gefunden aus ihrer Sackgasse, und auch nicht aus der, in der Rock nun schon seit Jahren steckt. Aber immerhin haben sie sich ein wenig Luft zum Atmen verschafft, wieder angekommen in der Durchschnittlichkeit.
Doch nun die etwas bessere Nachricht: Man läßt das Singen sein. Ob nun gleich Techno oder halt Tortoise für die Rockisten: Die Versuche, der Sprachlosigkeit dieser Generation dann doch Musik zu geben, enden aktuell recht oft im Instrumental.
Wenn es dafür gute Gründe gibt, dann wissen die Dirty Three nichts davon. Als sie sich gründeten, wollte keiner singen, also ließen sie es einfach sein. Und weil sie schon mal dabei waren, vergaßen sie auch ihre Vergangenheit. Irgendeiner von den dreien hat bestimmt schon mit so ziemlich jedem zusammengespielt, der in Australien irgendwie von Bedeutung ist, ob nun Kim Salmon, Robert Foster oder Nick Cave, um nur ein paar zu nennen.
Ihre zweite Platte haben sie frecherweise „Horse Stories“ genannt, aber zum Erzählen der Geschichten benutzt das Trio nur Schlagzeug, Gitarre und selten mal eine Orgel. Und natürlich die Geige von Warren Ellis, um die sich alles dreht. Die darf sich nun, ohne allzusehr in Erklärungsnotstand zu geraten, durch die Musikgeschichte geigen. Über einem meist eher gemütlichen Folkrhythmus hat sie alle Freiheiten, macht mal den Wattebausch, mal den Hendrix. Mal klingt sie nach Puszta-Spelunke, mal nach Klanglandschaft. Mal bewegt sie sich ganz genügsam in den eigenen Folk- Zusammenhängen, mal wird sie so verzerrt, wie es eine Gitarre nicht mehr wagen würde.
Aber weil die Stimme fehlt, ist man leichter bereit zu verzeihen, auch wenn ausgelutschte musikalische Themen bemüht werden. Oder wenn sich die Geige samt ihrem Anhang sinnlos im Kreis dreht, als hätte sich ein Haufen orientierungsloser Free Jazzer verirrt.
Allein schon durch ihre Besetzung sind Dirty Three auch ein Gimmick, aber immerhin einer, der hoffen läßt, daß Rockmusik auch in Zukunft entwicklungsfähig bleibt. Diese Musik lebt vom Spannungsverhältnis zwischen „Kalinka“ und Garagenrock, aber immerhin lebt sie, und das ist mehr, als man vom Großteil der momentanen Rockproduktionen sagen kann. Thomas Winkler
Pearl Jam: „No Code“, Epic/ Sony
Dirty Three: „Horse Stories“, Big Cat/ Rough Trade
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen