Zwischen den Rillen: Komplexe Kosewörter
■ Melodien für die Peripherie: Dead Adair, Svevo, Zimbo
Als Charly Reichelt in Offenbach vor drei Jahren das Label Peace 95 hochzog, freute er sich vor allem auf eine Veröffentlichung: die seiner Band Dead Adair.
Der Release-Termin stand, das war bereits damals zu vernehmen, kurz bevor. Dann gingen Bänder verloren, Studiozeit wurde überzogen, neue Studios angemietet, Studios lösten sich in Hochwasser auf, Weltreiche gingen zugrunde. Zufällig guckte einer auf die Uhr und sah: Hoppla, schon 1996!
„Zehn Sekunden bis zur Ekstase“ ist das jetzt doch noch erschienene Werk süffisant benannt, Untertitel, wie bei Greatest-Hits-Sammlungen so üblich: „1992–1996“. Ein Themenabend zu Autounfällen und Kommunikationspannen, voll Schönklang, der sich über Schmerz erhebt. Aber Schmerz läßt sich nicht so leicht unterkriegen. Nimm den schönsten Sonntag in deinem spätsiebziger Plattenschrank, multipliziere ihn mit Rio Reiser, addiere Tom Liwa – und du liegst immer noch knapp daneben. Herbst-Pop: Ein bißchen wie aus Pfützen trinken und dabei Tee schmecken. Und auf den nächsten Sommer warten, „auf der Suche nach einer eigenen Sprache, Sätze auf den Rand gepißt“.
Mit einem frühlingshaft gezwitscherten „Duuuiiiduuu“ beginnt die Platte von Svevo, gleiches Label, ursprünglich ähnliche Frankfurt-Offenbacher Zusammenhänge. Eher lässig schlendert der Nachfolger von „Eher uncool“ ins Ohr, animiert fast zum dezent fröhlichen Herumhüpfen. Noch weiter fortschreitende Verernstung hätte auch leicht als Bewegungslosigkeit enden können. Was tun? Gutes tun, das ebenso gut gemeint wie gut gemacht ist. „Jetzt nimm doch endlich mal den Hörer ab / Und red mit mir.“
Verständlich. „Da trifft uns ein blauer Strahl.“ Sogar „die Sonne lacht“. Und: „Keine Mißverständnisse in Sicht.“ Schließlich: „Für dich fallen mir nur komplexe Kosewörter ein.“ Da geht wieder etwas, da ist es nicht weit von Bewegung zu Begegnung. Und von Sprache zu Welt. Ohne Literaturverdacht zu forcieren – in jeder der hier besprochenen Bands spielt mindestens ein Musikjournalist mit –, kommt Sprache wieder als etwas ins Spiel, das nicht fertig zur Verfügung steht. Die Gitarren laufen schon mal los, der Text folgt nach, und Worte entstehen noch im Gehen. Wendiger, welthaltiger war's nie! Realität macht sich im Wohnzimmer breit. Gut auch, daß Svevo nicht mehr darauf aus sind, jedes Stück als Diskussionsbeitrag anzulegen für Leute, die eh in die gleiche Kneipe gehen. Man sieht sich.
Und hört voneinander. Krachverdacht kommt auf, wenn man das neue Werk aus dem Hamburger Hause Zimbo auflegt. „Was ist das?“ fragt man sich augenreibend schon beim ersten Album angesichts famoser Songtitel wie „Lick my Gummiknüppel“ oder „Tellermine ahoi“. Das Dreiersinglepack HH C = CH ist dem ein würdiger Nachfolger, bietet es doch einen bunten Blumenstrauß voll verwegener Wahrnehmungen und Genervtheiten, die ohne Reibungsverlust an den Hörer weitergegeben werden. Da gibt es Erkennungsmelodien nie gesehener Fernsehsendungen, der Schulfunk hielt sie wohl mit guten Gründen jahrzehntelang unter Verschluß. „Wunder der Mikroelektronik“ – meinen die das ernst, oder machen die das aus Humor?
„Kernspintomographie“ ist ein im Alltag wenig gebräuchlicher Begriff, an dem sich Zimbo jedoch geschlagene sechs Minuten, 41 Sekunden abarbeiten. Bereits zur Halbzeit droht man, dem Plattenspieler eine reinzuhauen, wenn er noch einmal „Kernspintomographie“ sagt. Der Noise-Rock kommt in Schüben, durchsetzt von ruhigen Stellen, an denen die Wortungetüme in den Song einfallen. „Immanuel Kant moderiert sehr galant am Stadtrand Landfunk.“ Klingt verklausuliert und zickig. Statt Melodien für Millionen „eine Melodie für die Peripherie“. Oliver Fuchs
Dead Adair: „Zehn Sekunden bis zur Ewigkeit (1992–1996)“ (Peace 95)
Svevo: „Phon“ (Peace 95)
Zimbo: „HH C = CH“ (Moloko Plus)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen