Zwischen den Rillen: Hilft kein Alleskleber
■ Prima unpassend in den Neunzigern: Ingo Insterburg mit neuer CD
Erinnerungen an die Kindheit sind merkwürdig: Man sieht sich im Garten mit den Freunden spielen, im Winter die selbstgebaute Rodelbahn runterbrausen. Aber auch beim schönsten Spiel gab es den Moment, als einer sagte: „Eh, gleich fängt ,Flipper‘ an!“ Und alle rannten nach Hause vor die Glotze. Irgendwo im Hirn lagern Magnetbänder, auf denen das alles gespeichert ist, auch die „schlüpfrigen“ Witze bei „Klim Bim“ oder von Insterburg & Co. Und das ist irgendwie furchterregend.
Wenn jemand wie Ingo Insterburg im Jahre 97 plötzlich eine CD annonciert, die den Titel „Ein Virtuose mit Zukunft“ trägt, dann wird es Zeit, die Archivdeckel im Hirn auf Haltbarkeit zu überprüfen. Dazu zogen wir vor ein paar Wochen zum CD-Vorstellungstermin im Berliner Sophienclub. In einer Ecke auf einem Barhocker saß, ein wenig vereinsamt, ein Mann mit schütterem Haar und angegrautem Bart, mit ziemlich massiven Ketten um den Hals. Es liefen alte Insterburg-&-Co-Videoaufzeichnungen von einem Radio-Bremen-„Musikladen“- Auftritt Anfang der Siebziger – The Who, Insterburg & Co, Procol Harum!
In sensibler gewordenen Zeiten wirken die Witze über Gurken, Vögel und tiefe Ausschnitte, vorgetragen auf selbstgebastelten Instrumenten, fast befreiend doof. Gleichzeitig fragt man sich, wie verklemmt man gewesen sein muß, um brüllend über diese Brachialkalauer zu lachen – oder vielleicht gar rot zu werden. Die merkwürdige Kauzigkeit von Insterburg & Co paßte auch zu dem Bild, das man sich in Westdeutschland von West-Berlin machte – irgendwie mußte es da wohl von lustigen Verrückten, verkleidet wie bärtige Studenten, wimmeln – wer sollte es dort sonst auch aushalten.
Wenn so jemand, angeblich 1934 im ostpreußischen Städtchen Insterburg geboren, bekennender Vegetarier, Nichtraucher und Nichtalkoholiker, allein (bzw. in Gesellschaft einer umfangreichen Sammlung selbstgebauter Instrumente) am Wannsee lebend, nun eine neue Platte auflegt, hat man Angst, der habe es wohl nötig, sich seine Musikerrente aufzubessern. Insterburg aber scheint hauptsächlich die Lust umzutreiben, weiter seine Witzchen über den Unterschied zwischen Gunst- und Kunstgewerbe zu reißen. Im Gespräch merkt man ihm seine Freude an, auch heute noch zu ARD-Fernsehshows eingeladen zu werden: „Die zahlen gutes Fahrtgeld.“ Außerdem tingelt er noch immer über deutsche Kleinkunstbühnen. Er lebt unter anderem von nicht ganz unbeträchtlichen Tantiemen, vor allem aus seinem Megahit „Ich liebte ein Mädchen in...“, das bei Klassenreisen stets zum Berliner Stadtplanersatz wurde.
Insterburg veräppelt sich sympathischerweise auch gern selbst. Er spielt auf der japanischen „Affenharfe“, die, ha ha, so klein ist, weil Japaner eben auch klein sind. Wie vor 30 Jahren schon, handeln die Lieder von ganz alltäglichen Nöten und Ängsten eines Mannes: „Dann verliert die Kaulquappe ihr Schwänzelein, ich möchte keine Kaulquappe sein.“ Helge Schneider, Harald Schmidt, das Hannoveraner Frühstyxradio, Beavis & Butthead – alles prima, aber im Vergleich zu Ingo Insterburg viel zu intellektuell und bemüht.
„Lieber 'ne kleine Leuchte...“: Ingo Insterburg Foto: Wort Art
„Der Alkohol, der Alkohol, zerstört des Menschen Leber, da hilft kein Alleskleber“ – Weisheiten, die Generationen überdauern. Eigentlich aber muß man Ingo Insterburg und seine Instrumente live sehen, die CD wirkt wie ein Soundtrack ohne Film. Prima unpassend in den Neunzigern und wie herübergerettet aus Hippiezeiten ist Insterburgs Motto, das er sich vom Weggefährten Karl Dall ausgeborgt hat: „Lieber 'ne große Leuchte auf'm kleinen Leuchtturm als 'ne kleine Leuchte auf'm großen Leuchtturm.“
Der Promotionauftritt vor Journalisten war ihm eigentlich viel zu albern. Witzigerweise wirkten dabei irgendwie alle peinlich – nur Ingo Insterburg mit seinen Kuhglocken nicht. Andreas Becker
Ingo Insterburg: „Ein Virtuose mit Zukunft“ (Wort Art, Köln, Vetrieb: IMS/Polymedia)
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