Zwischen den Rillen: Landneurotiker
■ Urban Country, modal wie fraktal: Bill Frisell und Metheny/Bailey
Zwei Alben, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Liebevoll restaurierte Country- Tonalität auf „Nashville“, komplexe, konsequente Kakophonie auf „The Sign Of 4“: Metrum und Melodie vs. Klanggewebe. Es wäre ein Leichtes, auch die beiden Gitarristen gegeneinander auszuspielen. Hier das zaghafte, beinahe schüchterne Tasten Frisells, dort die nicht enden wollenden Notenketten Methenys, der alles „ausspielt“. Freilich haben sie durchaus einiges gemeinsam. Ihre Bewunderung für den lyrischen Sound Jim Halls beispielsweise. Oder ihre Country- Affinität. Immer öfter nennt Frisell als einen der wichtigsten Einflüsse Jerry Hahn, der Ende der 60er zusammen mit Gary Burton erstmals eine Fusion beider Stile zu verwirklichen suchte. Der Zufall will es, daß der 17jährige Metheny ausgerechnet bei Burton in die Lehre ging. Dessen Vision war eine Art „Easy Listening Country“. Die üblichen Formen und Abstände werden als Improvisationsgrundlage genutzt.
Burtons Platten waren für Frisell von großer Bedeutung. Nur ist für ihn die Beschäftigung mit dem Genre durchaus mehr als die Auseinandersetzung mit bestimmten Proportionen. Zwar pumpt auf „Nashville“ der Baß zuweilen seine berühmten Quinten, doch ist Frisell vor allem bemüht, Country zu transzendieren, das – auch politisch – Eindeutige der üblichen Abstände und Abläufe aufzubrechen. Dabei hilft ihm seine Vorliebe für flächige Klänge und Quarten-Akkorde, die von Natur aus etwas Unentschiedenes an sich haben. Der Titel „Pipe Down“ wirkt gar wie der Versuch, so etwas wie einen modalen Bluegrass-Song zu realisieren. Natürlich kippt er dann irgendwann, aber es dauert eine ganze Weile. Nirgendwo funktionieren Frisells Intervall-Umkehrungen so gut wie hier, sie werfen bizarre Schatten auf das forsche, resolute Spiel der alten Nashville-Recken, mit denen er u.a. Songs von Neil Young und Hazel Dickens covert. Seine Soli sind stets nur Variationen des Themas, kleine, behutsame Statements, doch durch ihre Häufung erreicht er eine Sättigung der melodischen Linie, die darin enthaltenen konträren Tendenzen schwingen aus, und das Resultat ist – Ruhe, Frieden, peace of mind.
Seit „Quartet“ verzichtet Frisell nicht nur aufs Schlagzeug, er findet offensichtlich auch keinen Gefallen mehr an den weichen Schwellklängen, die seinen Stil einst kennzeichneten, Volume-Pedal und Kompressor, von ihm mit harschen Worten als „crap“ denunziert, landeten auf dem Müll. Seitdem kultiviert er den „real sound“. Natürlich hilft ihm auch dabei ein kleiner Verzerrer, aber die Absicht ist eindeutig: weg vom Copyright, hin zur Musik.
Metheny indes mag auf seine Apparate partout nicht verzichten. Mag sein, daß er sich ohne sie nackt und unsicher fühlt, gerade auch im Bereich der „totalen“ Improvisation. Fest steht jedenfalls, daß er sich seit einer Weile auch verstärkt im Noise- Sektor um Anerkennung bemüht. Auf „Zero Tolerance For Silence“ etwa quälte er sein Instrument derart, daß sich Thurston Moore von Sonic Youth vor Begeisterung kaum zu halten wußte.
Auch im Zusammenspiel mit Derek Bailey ist nichts von der lieblichen Süße zu spüren, die ihn sonst auszeichnet, schmiegt Metheny goes NoiseAbb.: Cover
sich sein behendes Spiel geschickt an Baileys raffiniertes, halsstarriges Geplinker. Doch neben lichten Momenten gibt es wie immer viel Leerlauf. So gilt Baileys Bewunderung in erster Linie dem technologischen Know-how Methenys: „His use of technology is so inventive.“ Die Puristen wird er mit seinen THX-Soundeffekten das Fürchten lehren. Auf den live aufgenommenen Parts bestimmen hochgetürmte Klangstrukturen das Bild, ein Sprossentreiben kleinster Elementargestalten. Hier kann sich niemand an irgendwelchen Schemata festhalten, gibt es auch nichts „umzukehren“, nur fraktales, gezacktes Chaos, Geschwindigkeitsverhältnisse zwischen Tonpartikeln. Nicht umsonst loben die Gitarristen die telepathischen Fähigkeiten der beiden Schlagzeuger – jeder hat „seinen“ Drummer mitgebracht, Metheny Wertico, Bailey Bendian. Es ging ihnen, sagt Metheny, nicht um Musik, sondern um Logik, und die komprimiert nun mal, kürzt ab, sucht nach Möglichkeiten, das allzu Komplexe zu reduzieren.
Diese Absicht zeigt sich in erster Linie bei den im Studio aufgenommenen Stücken, die – wie der Informatiker sagen würde – „in endlicher Zeit terminieren müssen“. Nicht umsonst haben sie diese Aufnahmen wichtig mit „The Science Of Deduction“ überschrieben. Hier geht es um musikalische Modelle, könnte man noch am ehesten von Kompositionen sprechen. Nehmen wir nur mal „Euclid“, das sich über die Konventionen des gemeinen Jazz lustig macht. Zunächst ist noch alles in „Ordnung“, reversibles Hi-Hat-Schnappen simuliert einen Groove, dazu spielt Metheny seine typischen chromatischen Wendungen, zum erstenmal Spuren von Tonalität. Dann kommt Bailey dazu, sprengt kleine Lücken ins Geschehen. Und plötzlich, mit einem Mal, stürzt das Stück in ein anderes Gravitationszentrum. Diese Zustandsänderung ist mit Euklidischen Maßstäben nicht mehr meßbar. Sie wird auch nicht abgeleitet. Sie geschieht einfach. Markus Heidingsfelder
Bill Frisell: „Nashville“ (Nonesuch/EastWest)
Pat Metheny/Derek Bailey: „The Sign Of 4“ (99 Records)
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