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Zwischen den RillenBurgfräulein oder Brillenschlange

■ Drei Arten, dem Sport-BH zu entwachsen: Kristin Hersh, Lisa Loeb und Ani DiFranco

Modell „Musen-Tempel“: Kristin Hersh machte sich vor vier Jahren mit „Hips & Makers“ äußerst beliebt. Dieser Zustand dürfte ihr nicht behagt haben, denn warum sonst hätte sie mit „Strange Angels“ einen erstickenden Jahrhundertendevorrat Canterbury-Nachthemden – lang, voluminös, weiß – riskiert? Seltsamerweise macht „Strange Angels“, Kristin Hershs zweites Solo und erstes Album nach Auflösung der Throwing Muses, den Eindruck eines einzigen klagenden Hingehauches, obwohl Hersh durchaus mal laut wird (was einer Mutter von drei Kindern schließlich zuzutrauen ist).

„Strange Angels“ paraphrasiert ein Weggehen hin zu einem Ort, an dem Hersh sich aber – und verwirrenderweise – bereits befindet und den sie offenbar auch nicht vorhat zu verlassen. Sagen wir so: Hersh hat sich mit „Strange Angels“ zur Christa Wolf der Songwriterinnen hochempfunden. „Pale“, „Aching“, „Hope“ die weniger sensiblen als mystifizierenden Texte. „I like you / when I'm in the mood“, „magic 's weird“ (Hätten Sie's gewußt?). Reime wie „I'm sorry now / you don't know how“ sind innerhalb dieses statischen Referenzsystems fast ulkig. He, Kristin, man kann es auch übertreiben mit der Fixierung auf seine (Wunsch?-)Identität. Tatsächlich leidet „Strange Angels“ (hier schrieb ich „Strange Album“) weniger an seinem Minimalismus (rein akustisch, Gitarre, Piano, Flöte, Mandoline), sondern an Strukturschwäche. Selten hab' ich mich so gelangweilt wie mit dieser immergleichen schwächlichen Schönheit. Liegt es an mir: Too old für Burgfräuleins und too young to die?

Modell „Brillenschlange“: Lisa Loebs Berühmtheit gründete sich anfänglich auf ihre Sehhilfe. Auf den Konzerten kreischen die Fans „soooo cute“ – was ist das nur für ein mieser kleiner Tupperware-Verein von Welt, in der Pop-Sängerinnen für bemerkenswert gehalten werden, weil sie sich mit Nana Mouskouri vergleichen lassen! Loeb halte ich für eine Premium-Gitarristin und begabte Songwriterin. „Firecracker“ ist Loebs zweites Album nach dem 95er Debüt „Tails“ (mit Nine Stories). Der Erfolgsdruck hat der Qualität nichts anhaben können. Die Verbindung aus hibbeliger Stimme, Zartheit (auch in der Erscheinung) und drängendem Zorn funkt ein Maß an Energie, das es geraten sein läßt, sich die famose – in New York City lebende – Texanerin lieber nicht zur Feindin zu machen. Und als Freundin ist Loeb vermutlich auch anstrengend. Loebs Thema sind die mixed messages in unversöhnlichen Beziehungskisten bei friedlicher Koexistenz von E-Feedbacks und – neu! – Streich-Orchester. Der Analytiker R. D. Laing hätte seine Freude. „You want to suffer / and show me you're angry“, singt Loeb und „You change your shoelaces / I light firecrackers / You step on the sparks“. Dabei macht Lisa Loeb im Unterschied zu Hersh nicht auf La- Boheme-Schwindsucht. Die 27jährige steht entfernt in der James-Taylor-Linie, hat aber glücklicherweise nichts von dessen Müdigkeit. „Furious Rose“ heißt ein Song auf und der Musikverlag von „Firecracker“, was alles über Loeb sagt. Als Musikerin ist Loeb mehr up- tempo als Sheryl Crow, offensiver als Shawn Colvin und ausgefuchster als Alanis Morisette – wobei letztere nur vorgibt, ein tough cookie zu sein, indem sie sich nicht die Haare wäscht.

Modell „Windblown Troubadour“ (Rolling Stone): Ani DiFranco, 26, gilt mit elf Alben in nicht einmal acht Jahren als autarkes One-woman-Wonder: DiFranco macht alles selbst. Auf „Little Plastic Castle“ zischt, girrt, rappt und schwirrt es, und zwischen zwei Songs atmet DiFranco auch mal tief durch. DiFranco wird unter „punk-orientiertem Folk“ verbucht, verweist in ihrem urbanen Stadtindianertum aber eher auf Steven Jesse Bernsteins spoken word poetry. Wobei DiFrancos Ansatz Gott sei dank! nicht resignativ, sondern neugierig ausfällt. Bernstein hat sich (1991, leider!) umgebracht.

Während der Mann, der sich „Live“ & „Dead“ auf die Finger tätowierte, ein autodestruktives Echo aus den Katakomben der Metropole saugte, bewegt sich Ani DiFranco durch ihre Musik (und deren Nährboden) wie eine Ratte: zäh, fit, sarkastisch (Chigaco in „Deep Dish“). Sie ist eins von den Mädchen, „growing out of their training bra“. Selbst das Joni-Mitchell-eske Pressen und Piepsen gestaltet DiFranco modern („Two little Girls“), was ein einleuchtender Grund für ihre Popularität sein dürfte. Anke Westphal

Kristin Hersh: „Strange Angels“ (4 AD/Rough Trade)

Lisa Loeb: „Firecracker“ (Geffen/Universal Music)

Ani DiFranco: „Little Plastic Castle“ (Righteous Babe Rec./ Cooking vinyl)

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