Zwischen den Rillen: Kein Bild, kein Wort
■ Die schöne Kunst, sich zu verbergen: Neue Mixturen von Rhythm & Sound w/Tikiman
Großes Brimborium gab es wie üblich nicht. Wie unter der Hand hereingeschmuggelt, standen sie plötzlich in den Plattenläden, diese schwarzen Scheiben im ungewöhnlichen 10-Zoll-Format, verpackt in grob gefaltete grau-braune Pappe, und auf dem Label stand nur das Allernötigste: Rhythm & Sound w/Tikiman, der Titel des Tracks, die Katalognummer und oben drüber, leicht unscharf, der Name der Plattenfirma Burial Mix.
So geheimnisvoll es 1996 begann, so schnell war auch klar, wer hinter diesem neuen Projekt steht. Es sind jene zwei Produzenten, die in den letzten Jahren mit ihren Veröffentlichungen auf ihrem Label Basic Channel für die – so heißt es in Fachkreisen – „letzte Revolution“ im Techno-Sektor gesorgt haben, die mit den Maurizio- Platten das Genre „Heroin House“ (Simon Reynolds) initiiert haben, die mit diversen anderen Projekten und Kleinfirmen (Chain Reaction, Imbalance, Main Street) die Bandbreite heute verkäuflicher elektronischer Musik besetzen und die – gleichberechtigt neben diesen kreativen Polen – mit dem Plattenladen Hardwax und dem Studio Dubplates & Mastering die Kette zwischen Produktion und Distribution in der Hand haben.
Sie heißen Mark Ernestus und Moritz von Oswald. Zwei zurückhaltende, scheue Herren, die es über die Jahre geschafft haben, daß kein Foto von ihnen in Umlauf kommt, kein Statement von ihnen zu ihrer Musik durch die Presse geht.
Mit der Anonymität wächst natürlich die Legende, und je weiter man sich zurückzieht, desto präsenter wird man. Auch das ist ein Grund dafür, daß jede ihrer Platten – wie auch immer sie daran beteiligt sind – mit Hochachtung empfangen wird. Den Männern im Hintergrund wird Integrität zugebilligt. Hier ist noch, so scheint es, die Idee der frühen Techno-Tage wirksam, daß diese Musik keine Gesichter und vor allem keine Worte braucht. Ohne es darauf anzulegen, haben sie verwirklicht, was ihr Berliner Antipode Westbam für Techno in Anspruch nimmt, daß nämlich die Track-Musik Schluß mache mit dem Musikjournalismus.
Der wiederum läßt nicht locker. Und der Zugang wurde mit der Zeit auch leichter, was letztendlich mit ökonomischen Erwägungen zu tun hat. In einer Szene, in der dem Vinyl gehuldigt wird – und im Dubplates & Mastering-Umfeld grenzt das an Fetischismus –, wurde die CD immer wichtiger. Sie diente insbesondere in den letzten beiden Jahren als Möglichkeit, bestimmte, vorher in Vinyl durchexerzierte Werkphasen zusammenzufassen und einem Publikum, das sich an einen Apparat wie den Plattenspieler nur noch dunkel erinnert, vorzustellen. So gibt es inzwischen das Basic- Channel- und das Maurizio- Programm, wenn auch nicht vollständig, in digitaler Form. Und die CD ist, auch wenn Ernestus/von Oswald das nicht intendieren, das Ticket in die Plattenbesprechungsrubriken ganz normaler Musik- und noch normalerer Publikumszeitschriften. So wurden die unpersönlichen Tracks der zwei Berliner Produzenten allmählich Teil konventioneller Medienverwertung. Nichts, was sie machen, ist nur noch Rhythmus und Klang.
Mit ihrem Projekt Rhythm & Sound wurde manifest, was lange in Andeutungen präsent war. Schon einige B-Seiten der ersten Basic-Channel-Maxis sind in einem Klangraum angesiedelt, der selbst die Hauptrolle spielte, in dem sich Rhythmen und Sounds aus Echos und Dub- Effekten zusammensetzen. Je besser das Dub/Reggae-Fach im Berliner Hardwax unter der kundigen Regie von Ernestus bestückt wurde, je größer wurden auch die musikalischen Bezüge zur jamaikanischen Volksmusik in den eigenen Produktionen. Maurizios wummiger Techno nutzt die reggaetypischen gegenläufigen Rhythmusakzente, um dem schnöden 4/4-Beat neuen Glanz oder besser: eine ungeahnte Tiefe zu verleihen. Wer nicht an die morphische Resonanz glaubt, kann ja mal die gleichzeitig zutage tretenden Reggae-Anleihen in den Techno-Platten des Kölners Mike Ink anhören, der sein betreffendes Label auch gleich nach der legendären Gattungswiege in Kingston, Studio 1, benannte.
Burial Mix ist als Labelname auch nicht schlecht. „Burial“ ist bekanntlich ein Kampfbegriff jamaikanischer Toaster, die in der Dancehall ihre Konkurrenten durch gekonnten Sprechgesang übertreffen, im übertragenen Sinn also „beerdigen“ wollen. Es ist eine leicht bizarre Vorstellung, wie die beiden schüchternen Berliner mit ihrem Vokalisten Tikiman zusammenarbeiten, der auf allen Burial-Mix-Platten über den Basistracks seine Texte improvisiert. Aber anscheinend verträgt sich die im Kreuzberger Hinterhof konservierte Introvertiertheit mit der offen gezeigten Lebenserfahrung des Mannes, der auf dem Weg von der winzigen Antilleninsel Dominica einiges erlebt haben wird.
„Showcase“ präsentiert in teilweise neuen Mixen die bisher erschienenen fünf Vocaltracks mitsamt ihren „Versions“, also jenen wortarmen- oder losen Mixen, die traditionell die B-Seiten von Reggaesingles füllen und die dem DJ oder Hobbysänger als Grundlage eigener Interpretationen dienen. Die „Versions“ von Rhythm & Sound klingen allerdings so erhaben, daß sich niemand trauen wird, Hand bzw. Stimme an sie zu legen. Martin Pesch
Rhythm & Sound w/Tikiman: „Showcase“ (Burial Mix/Efa)
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