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Zwischen den RillenTechno auf Diät

■ Visionen der Strenge, Rebellion gegen Rave: Johannes Heil und Pacou

Wer seine Debüt-Maxi „Offenbarung“ nennt und darauf innerhalb weniger Monate Titel wie „Der Tod“, „Amen“ und „P.A.X.“ folgen läßt, dem muß etwas Großes vorschweben, der scheint eine Vision zu haben – eine Botschaft sogar, von der die Welt zu ihrem Heil unbedingt erfahren sollte. Zumindest könnte man aus diesem Zyklus in Form einiger Vinylplatten auf ein Konzept schließen, mittels dessen ein Newcomer in der Technoszene für Aufsehen sorgen möchte. Selbst der Name, Johannes Heil, scheint da noch allzugut ausgedacht zu sein.

Aber der junge Mann aus Obermörlen in der Wetterau heißt wirklich so, und die Titel seiner frühen Maxis sind weder ironisch noch anmaßend gemeint. Sie bezeichnen, wie er sagt, eben nur das am besten, was er in den jeweiligen Produktionszeiten fühlte und auszudrücken wünschte.

Johannes Heils Platten sind das, was man DJ-Tools nennt, und er ist binnen eines Jahres zu einem der beliebtesten Lieferanten der einschlägigen Techno-DJs geworden. Seine Platten haben nichts von Sophistication, da wird kein Popwissen gegen Dancefloor-Credibility eingetauscht. Die Stücke tauchen als halbminütiger Kick in einem DJ-Set auf und, wenn es gut läuft, in derselben Nacht noch mal einige Sekunden von der Rückseite.

Weil für Heil selbst in seiner Musik aber mehr steckt als die begrenzte Funktion, ist es gar nicht so weit hergeholt, wenn er sich die großen, allgemeinen Worte herholt, um sie zu bezeichnen. Ihr allgemeiner Nutzen, den sie im Club oder bei der Love Parade (Sven Väth begann sein Set am Großen Stern mit einem Heil-Track!) haben, verbindet Johannes Heil mit den Bibelwort-Samples mit seiner Person.

Das Buch der Bücher, in dem Individuen als solche wenig gelten, fungiert bei Heil als letztes Reservoir, um sich in einem Feld musikalischer Entindividualisierung zu behaupten. So wie man sich auf der Tanzfläche dem Geschehen fügt und an der Aura der wortlosen Kommunikation arbeitet, so ist Johannes Heil beeindruckt von den Fingerzeigen des Schicksals, denen er folgt. So hat er die Produktion an seinem Debütalbum in dem Moment abgeschlossen, an dem die Speicheruhr auf seiner Festplatte anzeigte, daß die Dauer der bisher gesammelten Tracks genau eine Stunde beträgt.

Auch im Titel „Reality To Midi“ klingt eine Instanz durch, die Übertragung herstellt, ein Medium, das dem persönlichen Ausdrucksvermögen übergeordnet ist und individuelles Empfinden in allgemeinverständliche Formen bringt: Midi, die Schnittstelle, an der analoge Signale in digitale Daten umgewandelt werden.

Bis auf „Strange Days“, einem schweren und mit düsterer Synthiefläche verhangenen Dopebeat-Stück, folgen alle Stücke auf dieser Platte dem Muster, das Heil von Beginn an verfolgt: eine einfache Sequenz, ein bißchen Perkussion und ein 4/4-Beat. Jedes der Stücke hätte auf jede der davor veröffentlichten Maxis gepaßt. Da fragt man sich natürlich, warum ein Album herausgebracht wird. Einerseits ist es begrüßenswert, daß die Langspielplatte mit ihrem popgeschichtlichen Image des Königsweges zum „richtigen Musiker“ im Zuge von Techno des öfteren schon unter Beschuß geriet. Andererseits geht die Erwartung an ein Album immer über jene gegenüber einer Maxi hinaus. Heils „Reality To Midi“ ist deshalb am ehesten als Schlußpunkt der Verfeinerung seines bisherigen Werks zu betrachten. Die Brachialität von „Offenbarung“ ist herabgemildert zur durchgängig hörbaren, dem besseren Equipment geschuldeten Wärme. Manchmal stößt verquere Rebellion durch die Oberfläche der kreisenden Sequenzen. Ein stolpernder Titel wie „Djunglebook“ sagt alles.

Pacou, einem jungen, im Berliner Tresor aufgewachsenen Produzenten, geht es wie Heil um sehr viel (niemand, da haben die Engländer recht, nimmt Techno so ernst wie die Deutschen). Nur geht es ihm weniger um persönlichen Ausdruck, sondern um die technologischen Bedingungen, die diese überhaupt möglich machen. Dieser konzeptuelle Ansatz zeigt sich bei Pacou darin, daß er weniger auf die Verwertung seiner Platten im Club setzt, sondern inzwischen schon sein zweites Album veröffentlicht hat. Auch hier sprechen die Titel Bände: nach „Symbolic Language“ im letzten Jahr folgt jetzt „No Computer Involved“. Gegen das allgemeine Mißverständnis, Techno sei Computermusik, stößt einen Pacou mit der Nase auf die analogen Instrumente.

War auf dem Cover des Debütalbums noch eine undurchsichtige Permutation von Ziffern und Buchstaben samt technischer Zeichnung zu sehen, schmückt den beigen Umschlag der neuen Platte außer der Typographie nur ein logoartiges Zeichen unten im Eck. Diese graphische Reduktion ist die rechte Einstimmung auf die Musik. Die Platte ist ein erneutes Aufbäumen gegen die musikalischen Klischees, die unter dem Begriff „Rave“ zusammengefaßt sind. Pacous staubtrockene und warm flimmernde Tracks versuchen mit großer Strenge jedes überflüssige Gramm abzuschütteln. Schaut man sich derzeit in der Technoszene um, scheint nach der Diät, für die Pacou neue Rezepte liefert, allmählich der Jo-Jo-Effekt einzutreten. Martin Pesch

Johannes Heil: „Reality To Midi“ (Kanzleramt/Neuton) Pacou: „No Computer Involved“ (Tresor/Efa)

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