Zwischen den Rillen: Quintessenz von LA
■ Drei Generationen Chicano-Rock: Santana, Los Lobos und Ozomatli
Die aktuelle Latin-Schwemme mag eine modische Laune sein. Aber es ist schon erstaunlich, was damit so alles einhergeht, so etwa das Comeback des Chicano-Rock. Zum Beispiel Carlos Santana. Mit über 30 Jahren Bühnenpräsenz längst ein Rock-Dinosaurier, gab es zur Belohnung fürs Durchhaltevermögen in diesem Jahr eine Eintragung in die „Rock 'n' Roll Hall of Fame“. Großes Echo hat der schlaksige Gitarrist mit seiner Musik dagegen lange nicht hervorgerufen.
Neue Plattenfirma, neues Glück: Die Vertragspartner haben Santana offenbar eine Frischzellenkur verschrieben. „Supernatural“, die offizielle Santana-Scheibe der Saison, strebt unverkennbar zu neuen Ufern. So poppig hat man Carlos Santana seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gehört. Lang ist die Liste der Gastmusiker, denen der ewige Hippie im Booklet blumig-elaborierte Danksagungen widmet. Lauryn Hill und Wyclef Jean sind mit von der Party, außerdem der Songwriter Eagle-Eye Cherry. Die Everlast-Rocker steuern eine Ballade bei, und mit der mexikanischen Mega-Band Mana jammt Santana auf afrokubanische Art.
Die Wahl der Gäste soll wohl HipHop-Hörer, die Latin-Gemeinde und versprengte Rockisten unter einen Hut bringen. Erstaunlicherweise funktioniert das, klingt gar nicht so zusammengewürfelt, wie es ist, sondern frisch und vielseitig. Santana tritt auf dem Album so zurückhaltend auf, als sei er nur Gast auf einem Tribute-Album, ihm selbst zu Ehren. Aber wenigstens entsteht so nicht der Eindruck, hier wolle sich Opa noch einmal in sexy Jeans zwängen. Ob sich die Kids von heute allerdings noch etwas von einem fusseligen Woodstock-Veteranen auf der Gitarre vorspielen lassen, bloß weil er neuerdings mit HipHoppern verkehrt, bleibt dahingestellt. Die Rock-Kritik reagierte auf die Crossover-Taktik recht verschnupft, ganz so, als ob sie Santana lieber dazu verurteilen würde, lebenslang unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf seiner Gitarre zu gniedeln.
Ganz frei von Kommerz-Klischees ist „Supernatural“ natürlich nicht: „Maria, Maria“ etwa ist eine Ode an eine Frau, die in, na klar, Spanish Harlem lebt, und die den Sänger – na? – an die West Side Story erinnert. Und dann sind da noch die notorischen Instrumentals, zu denen man sich gut die passende Strandbar vorstellen kann, an der man dann zur akustischen Kulisse einen Cocktail schlürfen möchte, während die Sonne im Meer versinkt. Klingt kitschig? Ist es auch. Aber trotzdem gut. Nur das letzte Stück, das Duett mit Kollege Clapton, hätte er sich sparen können. Zwei alte Männer lassen den Soul raus – das muss nicht sein.
Ebenfalls einen neuen Plattenvertrag ergattert haben auch Los Lobos. Genau die, die vor mehr als einer Dekade einen Hit landeten mit ihrem Cover von „La Bamba“ und dem Soundtrack zur Filmbiografie von Ritchie Valens, dem tödlich verunglückten Latino-Rockstar der ersten Stunde. Danach verschwanden Los Lobos freiwillig von der Bildfläche, um sich zu regenerieren. Vor einem Vierteljahrhundert starteten sie in East Los Angeles als Hochzeitskapelle, später gaben sie ihrem Rock 'n' Roll gelegentlich eine spanische Note. Roots-verbunden sind sie bis heute geblieben. Nur dass das Hispano-Quintett zuletzt das Produzenten-Duo Mitchell Froom und Tchad Blake ans Mischpult ließ, die das Klangbild angesägt und aufgeraut haben.
„This Time“ eröffnet mit einem schleppenden Maschinenbeat, auf dem sich ein lakonischer Blues entfaltet, ein Blues wie in Formaldehyd. Auf „High Places“ und „Run away with you“ kratzen Rockgitarren schmutzige Schlieren in den Sound, während „Cumbia Raza“ zum gepflegten kolumbianischen Schunkeln auffordert – eine Reminiszenz an „La tierra de mis padres“. Und „Vamos a la playa“ wiederum klingt so staubtrocken, dass man sich an diesem Strand beim besten Willen kein Wasser vorstellen kann – eine Halluzination zwischen Himmel und Erde, zwischen Motel und Steppe. Die Rock-'n'-Roll-Maschine knarzt, aber sie explodiert nicht. Nur am Ende klingt es, als ob der CD-Player gleich abschmiert.
Anders Ozomatli. Ebenfalls aus East LA stammend, werden sie als das nächste heiße Ding gehandelt, mischen sich doch bei ihnen Rap, Funk, Salsa und andere tropische Rhythmen zu einer explosiven Mixtur. Ozomatli singen auf Spanisch, aber rappen auf Englisch, sie haben ihr HipHop-Handwerk gelernt und kennen auch ihre Instrumente, mögen Turntables genauso gern wie Congas, Trillerpfeifen und Bläser. Energiegeladen und kompakt, gelten sie als unglaublich gute Live-Band und als Quintessenz der Latino-Barrios von LA. Ein aztekischer „Gott des Tanzes“ stand übrigens als Namensgeber Pate.
Das erste Stück auf ihrem Debütalbum beginnt mit handgemachter Percussion, aus der sich ein House-Beat herausschält, der wiederum in einen Gute-Laune-Groove hinübergleitet. Doch wer sie für reine Party-Monster hält, täuscht sich. Vor vier Jahren aus einem Arbeitskampf (!) hervorgegangen, trat die zehn Mann starke Formation anfänglich nur zu Benefizzwecken an. Doch das Wort machte die Runde, in East LA tauchten erste Ozo-Tatoos auf, und die Medien wurden aufmerksam. Inzwischen sammeln Ozomatli euphorische Rezensionen wie andere Leute Überraschungseier, und Santana, mit dem sie durch die USA tourten, nannte sie „die Zukunft der Musik“. Womit sich der Kreis wieder schließt. Daniel Bax ‚/B‘Santana: Supernatural (BMG), Los Lobos: This Time (edel), Ozomatli: Ozomatli (Almo Sounds/Import)
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