Zwischen den Rillen: Supersonisch ...
■ ... und trotzdem bloß arschsauber: Urge Overkill und „Exit the Dragon“
Übersichtlich scheint der amerikanische Rockmarkt in seine Segmente aufgeteilt: Grunge/Alternative Rock, Homerecording und „Neil Young“. Doch dazwischen kann auch noch ein Entwurf angeboten werden: Konzeptuell sein und dabei trotzdem gut und einnehmend klingen, das proben Urge Overkill aus Chicago spätestens seit ihrer 91er Platte „Supersonic Story Book“. Damals supporteten sie – sehr unpassend – ihre Labelmates Nirvana auf deren „Nevermind“- Tour, und die spätere „Grunge“- und „X“-Generation staunte nicht schlecht, als sie die eigentlich nicht besonders hübschen Männer von Urge Overkill im stilvollen Einheitsdress ihre Musik spielen sah: Ging zwar ganz gut los, allerdings immer ein paar Schlenker an dem vorbei, was gemeinhin zum Mitgehen, -punken, -rocken einlud. Und dann dieses offen zur Schau getragene Stilbewußtsein, das man die vergangenen Jahre eigentlich abgelegt glaubte! Wie funkelte allein schon das Wörtchen „supersonic“! Wie gerne hätte man das UO-Logo auf jede Ecke seines Ranzen geklebt!
Was 91 noch in den Kinderschuhen steckte, treibt die Band – zumal sie mit dem Neil-Diamond-Cover „Girl, You'll Be A Woman Soon“ (genau, dem aus dem Soundtrack zu „Pulp Fiction“) in den Mahlstrom des Tarantino-Hypes geriet – auf die Spitze: Das neue Album „Exit The Dragon“ ist Kopfrock, der über ein paar Schlupflöcher im Hirnstamm auch in Bauch und Beine gelangen soll. Alles ist angelegt für den lockeren, selbstbewußten Elegant in dir.
Urge Overkill suhlen sich in ihrem Können, ihrem Alleswissen über Popgeschichte, lassen das aber nicht, wie die ähnlich schlauen Pavement, ins Fragmentarische abkippen, sondern gießen ihr Material in glattpolierte Songeinheiten: Arschsauber klingen die Stücke, wie tausendmal durch die Mischmaschinen gedreht. Da sitzt jeder an sich schon wohlbekannte Ton an der erwartbar richtigen Stelle, nichts wird verzerrt, nie wird die Band laut oder böse, und eine Drogenstory wie der Titelsong klingt, als hätte man sich gerade sorgfältig zwei, drei Staubkörnchen vom Jacketärmel geputzt. Nicht mal der Schlußsong – gemeinhin Rockers Experimentierwiese –, das achtminütige „Digital Black Epilog“, ist frei oder losgelassen, und der „mißlungene“ Start des Songs „Need Some Air“, der wie ein Treppenwitz auf Spontaneität und Improvisation zu verstehen ist, wird live wahrscheinlich genauso gespielt.
Genau da dürfte, „Pulp Fiction“ hin oder her, auch die Crux liegen für das mit dem Major-Deal offensiv eingegangene Tauschverhältnis („ihr wollt eine perfekte, gut organisierte Rockband, wir geben sie euch“): Es gibt einfach keine Melodien für Millionen. Teenage-Musik muß simpler gestrickt sein, muß einfachere Weisheiten enthalten als die heiteren Zynismen, die Urge Overkill vom schnellen Kommen und Gehen von Revolutionen („It's Really Nothing New“) und natürlich vom ewigen Verpassen selbiger verbreiten. Eher kommt einem beim Hören von „Exit The Dragon“ ein 80er- Fossil wie der „Yuppie“ in den Sinn (wegen dem Exquisiten), und das Konzept erinnert an Schlagsahne, die man sich ausgedacht hat, von der einem aber noch schneller schlecht wird.
Schert aber Urge Overkill (noch) nicht, und wenn live mal 'ne Saite reißen sollte, gar jemand versuchen sollte, die Bühne zu diven, dürften sie das höchstens mit einem hintersinnigen Grinsen quittieren. Good bye to the 70-, 80-, 90ties – um es mit einem abgewandelten Zitat des Poptheoretikers Mark E. Smith zu sagen. Gerrit Bartels
Urge Overkill: „Exit The Dragon“ (BMG/MCA/Geffen).
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