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Zwischen Selbstbetrug und Größenwahn

■ betr.: „GdP kritisiert lasche Ge setze“, „Berlin bleibt doch Berlin“ (Tagesthema), taz vom 28.8. 97

Es mag für einen Vertreter der Polizeigewerkschaft ja legitim sein, aus der Interessenlage seines Berufsstandes heraus gesetzliche Regelungen zu kritisieren. Aber es ist eine Anmaßung, wenn Eberhard Schönberg versucht, seine Unzufriedenheit mit den „Sorgen und Nöten der Mehrheit der Bevölkerung“ zu rechtfertigen: Denn es ist doch kaum mehr als ein Wunschdenken, daß er die kollektiven Einstellungen der Polizeitruppen mit aller Selbstverständlichkeit als unverzerrtes Spiegelbild der (normalen) Volksseele präsentiert.

Zum einen wird nicht einmal die Führungsspitze des Sicherheitsapparates in irgendeiner Form gewählt. Zum anderen kann auch von einer indirekten Repräsentanz nicht gesprochen werden, solange das Selbstverständnis der Polizei sich in einem autoritären, von elitenhaftem Korpsgeist abgeschlossenen Staat im Staat reproduziert, wo abweichende Haltungen (v. a. auch im Kollegenkreis) nur sehr eingeschränkt geduldet werden.

Und solange die Polizei in solchen pluralismus- und toleranzfeindlichen Organisationsstrukturen verharrt, muß sie zu diesen Tugenden eben – so gut es geht – gezwungen werden.

Eberhard Schönberg spricht davon, die sozialen Bedürfnisse kleiner Gruppen würden überhöht. Er sieht offenbar nicht, daß die Polizeitruppen faktisch selbst nur eine kleine Gruppe sind, deren soziale Bedürfnisse eben zum Beispiel in der Aufweichung des Datenschutzes oder in der Einschränkung der Versammlungsfreiheit bestehen. Okay, Forderungen muß jeder stellen dürfen. Daß diese kleine Gruppe aber ihre durchaus einseitigen Maßstäbe für allgemeingültig und überpolitisch hält, ist angesichts ihrer tatsächlichen Befindlichkeit irgendwo zwischen Selbstbetrug und Größenwahn anzusiedeln.

Wirklich gefährlich werden diese Eitelkeiten schließlich in Verbindung mit William Brattons Kulturkampfrhetorik. Der Begriff faschistoid ist zwar wirklich inflationär geworden; aber wenn da die Rede ist von der weltweiten Revolution gegen eine „übermäßig tolerante Gesellschaft“, die an der „Unordnung“ und damit an der Kriminalität schuld sein soll; wenn es ganz offen gegen die seit 30 Jahren mühsam ertrotzte moralische Öffnung der Gesellschaft geht; dann sind die Parallelen zum rechtsintellektuellen Sektor einfach nicht mehr zu übersehen. Florian Suittenpointner,

München

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