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Zwischen Selbstbestimmung und Sezession

■ Die Serben der Krajina wollten nie in einem unabhängigen Kroatien leben, doch gab es in der Krajina vor der „ethnischen Säuberung“ eben nicht nur Serben

Nach den ersten freien Wahlen in Kroatien im April 1990 machte sich unter den Serben der Krajina Angst breit. Die Propaganda aus Belgrad, die von einer Rückkehr des faschistischen Ustascha-Regimes der vierziger Jahre sprach – dem Zehntausende von Serben zum Opfer gefallen waren – fiel auf fruchtbaren Boden. Denn die kroatischen Nationalisten der HDZ Tudjmans, die die Wahlen gewonnen hatten, hißten in den serbischen Dörfern die alte Ustascha-Flagge, und schon bald erklärte der Präsident Kroatien zum Staat der Kroaten.

Schon im August 1990, zehn Monate vor der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens und dem Kriegsbeginn, führten die serbischen Nationalisten in Knin und Umgebung ein Referendum über die Konstitution eines „Autonomen Gebiets der Krajina“ durch, das sich im Dezember desselben Jahres schon von Kroatien lossagte. Bis heute hört man vor allem in Belgrad immer wieder das Argument, daß die Krajina-Serben dasselbe Selbstbestimmungsrecht in Anspruch genommen hätten wie die Kroaten, die sich von Jugoslawien lossagten, auch.

Doch so einfach ist der Sachverhalt nicht. Zwar ist in der UNO- Charta von 1945 von einem „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ die Rede. Die Unabhängigkeit Kroatiens aber ist nicht Ausdruck der Inanspruchnahme dieses Rechts, sondern Folge einer demokratisch gefällten Entscheidung der kroatischen, serbischen, ungarischen, slowakischen etc. Bürger Kroatiens, den jugoslawischen Staatsverband zu verlassen. Die titoistische Verfassung garantierte den sechs Teilrepubliken der Föderation ein Recht auf Sezession. Und dieses nahmen Slowenien und Kroatien in Anspruch. Damit waren die Serben, in Jugoslawien größte Volksgruppe, in Kroatien zu einer Minderheit in einem neuen Staat geworden. Und Tudjman hat so gut wie nichts für ihre friedliche Integration getan.

Dies macht den Wunsch der Krajina-Serben nach einem eigenen Staat bestenfalls verständlich, kann aber einen solchen nicht rechtfertigen. Denn die Krajina ist nicht einfach serbisch besiedeltes Gebiet in Kroatien, wie gemeinhin unterstellt wird. Vor dem Kriegsausbruch gab es 580.000 Serben in Kroatien, die etwas mehr als zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachten. Von ihnen lebte nur ein Drittel in der Krajina, etwa ebenso viele wohnten in Zagreb. In der Krajina selbst lebten andererseits viele Kroaten, die im Krieg vertrieben wurden. Zwar stellten in Knin die Serben 88 Prozent der Bevölkerung, in Petrinja, das die Kroaten gestern zurückeroberten, allerdings nur 45 Prozent. Im zurückeroberten Drnis gab es vor dem Krieg sogar nur 21 Prozent Serben. Und in Ostslawonien, das politisch ebenfalls zur „Serbischen Republik Krajina“ gehört, bildeten die Serben in keinem einzigen Distrikt je die Mehrheit. Wie soll das Selbstbestimmungsrecht der Völker hier wahrgenommen werden?

Die „ethnisch gesäuberte“ Krajina und noch deutlicher Ostslawonien waren bis zum Kriegsausbruch gemischt besiedelte Regionen. Wenn Kroatien nun den Kroaten, die 1991 vertrieben wurden, eine Rücksiedlung ermöglichen und den Serben, die in diesen Tagen flüchten, eine Rückkehr garantieren will, setzt dies ein neues nichtvölkisches Staatsverständnis voraus. Kroatien darf dann nicht mehr der Staat der Kroaten, sondern muß der Staat aller Bürger sein, die auf seinem Territorium leben. Und angesichts der jüngsten Geschichte wird es seinen serbischen Bürgern einen Minderheitenschutz garantieren müssen. Thomas Schmid

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