: Zwischen Couch und Chakra
■ Das Angebot an Psychotherapien ist mittlerweile undurchschaubar: Hilfesuchende stehen vor einem Dschungel von Ansätzen, Methoden und Techniken
ist mittlerweile undurchschaubar: Hilfesuchende stehen vor einem Dschungel von Ansätzen, Methoden und Techniken
Nach einem heftigen Beziehungskrach trennte sich Sabine von Peter, nicht ohne ihm noch patzig mitgeteilt zu haben, daß sie fortan mit Gabi zu leben gedenke. Peter fühlte sich daraufhin nicht nur einsam, verlassen und hilflos, viel schlimmer wog, daß sein ohnehin angeknackstes Selbstwertgefühl nun endgültig dahin war. Peter ergab sich seinen depressiven Gefühlen. Er ging immer unregelmäßiger zur Arbeit, kappte alle sozialen Kontakte, grübelte, bis sich sogar Selbstmordgedanken einstellten. Freunde rieten ihm zur Therapie.
Peter rappelte sich auf, stand dann jedoch vor einem unüberschaubaren Psycho-Dschungel: In Zeitschriften und Empfehlungen seiner Bekannten wimmelte es nur so von Therapie-Arten aller Couleur und Abkürzungen wie FPI, KVT und NLP. Welche Seelen-Kur sollte er anwenden?
Die Zahl der angebotenen Therapien steigt mittlerweile ins Astronomische: In den USA werden über 4000 verschiedene Verfahren praktiziert, in Deutschland kommt der/die Zählende auf rund 1000. Zieht man die windigen Mode-Erscheinungen ab, bleiben immer noch um die 50 Therapien, die als seriös bezeichned werden können. Den Anfang der Geschichte der seelischen Heilung markiert die Psychoanalyse (PA), die von Sigmund Freud entwickelt wurde und auf seinem Drei-Schichten-Modell fußt. Die Psychoanalyse soll Konflikte zwischen dem Unterbewußtsein, dem Bewußtsein und der moralischen Seelen-Instanz aufdecken und beseitigen helfen.
Konträr zu dieser Vorstellung entstand später aus lerntheoretischem Gedankengut die Verhaltenstherapie (VT), die durch Verhaltenstraining Ängste abbauen und neue Erfahrungen vermitteln kann. Dieser direktiven Methode folgte eine weiche, sanftere Strategie, die Gesprächstherapie (GT). Sie vermag durch vertrauensvolle Zuwendung und verbale Strategien die Gefühle der KlientInnen positiv zu ändern. In den letzten zwei Jahrzehnten entwickelte sich die Gestalt-Therapie, deren Ansatz den ganzheitlichen Aspekt eines psychologischen Verfahrens betont und häufig mit Rollenspiel-Techniken arbeitet. Mittlerweile gibt es 30 verschiedene Formen davon.
Auch die Verhaltenstherapie und die Gesprächstherapie splitteten sich in viele Unterformen auf: Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), die die Ratio der KlientInnen anspricht, die Rational-Emotive Therapie (RET), die sowohl Verstand als auch die Gefühle als Medium der Veränderung ansieht und die integrative Gesprächs-Therapie, die nicht nur verbale Techniken anwendet — um nur einige zu nennen.
Als die neueste Weiterentwicklung auf dem Psychotherapie-Markt wird das in den USA entwickelte Neuro-Linguistische Programmieren (NLP) angesehen. Diese Kurztherapie beansprucht für sich eine hohe Erfolgsquote, weil die effektivsten Techniken aus allen anderen Therapieformen verwendet werden. In einer Zeit, in der die schnelle Wiederherstellung der Funktions- und Arbeitsfähigkeit als oberstes Ziel gilt, kann solch ein Konglomerat verschiedenster Methoden gegenüber den oft Jahre dauernden Alternativen attraktiv erscheinen.
Neben den Verfahren, die die Psyche als Ansprechpartnerin in der Therapie benutzen, stehen die Körpertherapien, als deren Urvater Wilhelm Reich gilt. Hier wird der Körper als Träger von Konflikten angesehen, dementsprechend wird er auch als Medium benutzt, die Probleme zu lösen. Zu diesen „Handtuch- und Matte-Techniken“ gehören die bioenergetischen Methoden, die festgelegte Bewegungs- und Atemübungen vorschreiben, die sanfteren biodynamischen Verfahren, bei denen Massagen und Berührungen eine große Rolle spielen und auch das umstrittene Rolfing.
Als der neueste Trend in der Köpertherapie sieht sich das Polarity-Konzept: Mittels Handauflegen und Hin- und Herschaukeln von sich gegenüberliegenden, konträren Körperteilen soll die „energy fließen“, so der Fachjargon, und die Seele geheilt werden. Das Schlagwort „Energiefluß“ wird heute gerne verwendet, suggeriert es doch Sanftheit, verbunden mit fernöstlicher Weisheit und Einbettung in die natürliche Ordnung.
Viele solcher Techniken gewährleisten zwar eine vorübergehende Entspannung des Körpers, können aber nicht als seriöse psychotherapeutische Maßnahmen gelten. Ebenfalls nicht empfehlenswert bei echten Konflikten sind die spirituellen Therapien, die gerne von GlücksritterInnen aller Art angeboten werden und mit Kristallen, Chakren, Tantren und dergleichen arbeiten.
Der Bund deutscher Psychologen (BDP) warnt in diesem Zusammenhang vor schwarzen Schafen in der Psycho-Landschaft. Der Verband, der sich als ein Innungs-Ersatz versteht, spricht sogar von einem „Psycho-Sumpf“. Als ein Charakteristikum der Seriösität kann eine solide Ausbildung der TherapieanwenderInnen angesehen werden, es sollte mindestens ein Psychologie-Studium und eine mehrjährige zusätzliche Spezialausbildung vorliegen. Wer sich „Berater“ nennt oder jemanden eine „psychologische Beratung“ angedeihen läßt, muß noch längst keine Fachkraft sein.
Peter sollte sich aber nicht nur an der Qualifikation der TherapeutInnen orientieren, sondern vor allem fragen, welche Therapie ihm als die Angenehmste erscheint und ob er sie bezahlen möchte, denn die Krankenkassen übernehmen die Kosten nur bei den etablierten Verfahren. Greta Eck
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