piwik no script img

Zweitregister auf dem Prüfstand

■ Das Bundesverfassungsgericht urteilt über das zweite Schiffsregister / Die Gewerkschaften klagen gegen das Zweiklassensystem Von Kai von Appen

Unter den deutschen Reedern wächst die Unruhe. Grund: Das Zweite Schiffahrtregister steht auf dem Prüfstand. Das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe wird Anfang November darüber entscheiden, ob das seit Jahren umstrittene – „Billigflaggenregister – verfassungswidrig ist. Dem Ersten Senat liegen Verfassungsbeschwerden der Gewerkschaften ÖTV und DAG sowie Normenkontrollklagen der Länder Bremen und Schleswig-Holstein vor. Nach dem Gesetz können deutsche Reeder auf ihren Zweitregister-Schiffen ausländische Seeleute zu Heimatlohnbedingungen beschäftigen.

Das Zweitregister war 1989 von der CDU/FDP-Koalition gegen den massiven Widerstand der Gewerkschaften durchgepeitscht worden. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde will die ÖTV „die uneingeschränkte Anwendung des Grundgesetzes auf deutschen Schiffen“ wieder herstellen. Niemand dürfe wegen seiner Heimat und Herkunft benachteiligt werden. Mit dem Internationalen Schiffahrtsregister (Zweitregister) werde aber das Prinzip „gleiche Arbeit – gleicher Lohn“ aufgehoben. Das Gesetz wirke sich darüber hinaus für das „maritime know how“ katastrophal aus. Denn durch die Besetzung der Arbeitsplätze für Schiffsmechaniker mit Arbeitskräften aus Billiglohnländern könne die Berufsausbildung zum Schiffsmechaniker nicht mehr gesichert werden.

Bei den Deutschen Reedern hatte das Zweitregister damals helle Begeisterung hervorgerufen: Unter deutscher Flagge koste der Arbeitsplatz pro Mann und Jahr im Schnitt 100.000 Mark, im Zweitregister 70.000 Mark und unter Fremdflagge 50.000 Mark. Nach Angaben von Reeder-Verbandsprecher Ralf Schneider sind in Hamburg mittlerweile von 287 deutschen Schiffen 256 im Zweitregister eingetragen. Wer, wie und in welchem Umfang vom Zweitregister Gebrauch mache, lasse sich aber nicht sagen.“

In der Tat hat die Gewerkschaft ÖTV Auswüchse des Zweitregisters frühzeitig eindämmen können. So konnten „Bed and Breakfast-Heuern“ nicht durchgesetzt werden. Die Gewerkschaft ging zum Beispiel massiv gegen die Bremer Reederei Sloman und den Lübecker Reeder Beutler vor, als diese katastrophale Arbeitsbedingungen auf ihren Schiffen einführen wollten. ÖTV-Schiffahrtssekretär Werner Konz: „So etwas Gravierendes wie die 50 Dollar-Heuer gibt es nicht mehr.“

Um Ärger aus dem Weg zu gehen, seien die Reeder dazu übergegangen, ausländischen Seeleuten nun doch 600 und 700 Mark Heuer zu zahlen. Und auch von gravierenden Verstößen gegen die Urlaubsvorschriften ist der ÖTV derzeit nichts bekannt. „Das Seemansgesetz ist ja weiterhin in Kraft und da wird der Minimalurlaub festgelegt.“

Dennoch, so Konz, gebe es natürlich ein „riesiges Dunkelfeld“: „Es ist die Frage, ob ein Schiff überhaupt einmal nach Deutschland kommt.“ Jedoch gerade auf diesen Zweitregisterschiffen, die sich dem gewerkschaftlichen Wirkungsfeld entziehen, herrschten katastrophale Zustände. Konz: „Da werden Filipinos zu Billiglöhnen angeheuert. Die Leute haben Angst etwas zu sagen, denn da gibt es auch die Mafia.“

In der juristischen Auseinandersetzung um das Zweitregister erlitt die Gewerkschaft ÖTV bislang allerdings immer Schiffbruch. Denn die Arbeitsgerichte berufen sich auf die geltende Gesetzeslage. Selbst der Europäische Gerichtshof in Luxemburg erklärte im März vorigen Jahres das Zweitregister für rechtmäßig. Es verstoße nicht gegen die EG-Verträge. Weder stelle es eine unerlaubte staatliche Beihilfe dar, noch verstoße es gegen die sozialen Ziele der Union.

Dennoch ist die Gewerkschaft optimistisch; denn das Bundesverfassungsgericht wird das Zweitregister ausschließlich an den Normen des Grundgesetzes prüfen. Im Klartext: Darf auf deutschen Schiffen ein Zweiklassensystem herrschen, und dürfen auf deutschen Schiffen für ausländische Seeleute andere Arbeitsbedingungenn gelten als für deutsche ? Bei einer Niederlage vor dem Verfassungsgericht drohen die Reeder schon jetzt mit Gegenreaktionen. Schneider: „Dann werden wieder viele über Ausflaggung nachdenken.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen