Zweites Konjunkturprogramm: Bildung zu marode für Hilfe
6,5 Milliarden Euro sollen vom Konjunkturpaket II in Schulen, Kitas und Unis gesteckt werden. Der Sanierungsbedarf allein für Schulen ist mehr als zehnmal so hoch.
Länder und Kommunen geht es derzeit wie Lottogewinnern: Die Aussicht auf viele Milliarden Euro vom Bund für Kitas, Schulen und Hochschulen wirft die Frage auf, wie man das Geld am sinnvollsten anlegt. Nach Auskunft einer Sprecherin von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) verhandeln Bund und Länder derzeit, welche Schwerpunkte sie setzen und wie das Geld verteilt wird. Ziel sei, einen Teil des Geldes noch in diesem Quartal auszuzahlen.
Das zu Wochenbeginn beschlossene zweite Konjunkturpaket der Bundesregierung sieht vor, den Ländern und Kommunen ab diesem Jahr rund 10 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung zu stellen. 65 Prozent davon, rund 6,5 Milliarden Euro, sollen sie in öffentliche Bildungsinstitutionen stecken. Ein Drittel - 3,3 Milliarden Euro - sollen die Länder zuschießen.
Der Sanierungs- und Modernisierungsbedarf ist allerdings weitaus höher. Nach einer Studie des Instituts für Urbanistik von 2008 ist die Hälfte der 150.000 Schulgebäude, Turnhallen und Kitas dringend sanierungsbedürftig und muss energetisch nachgerüstet werden. Allein für die bundesweit 44.000 Schulen ergibt sich bis 2020 ein Investitionsbedarf von 73 Milliarden Euro. Das wären pro Jahr 4,9 Milliarden Euro. Um die Hochschulbauten zu sanieren und jahrzehntelange Vernachlässigung zu beheben, sind laut Hochschulrektorenkonferenz zudem bis zu 35 Milliarden Euro nötig.
Der jahrzehntelange Sanierungsrückstand und eine schwierige Sozialstruktur haben in Berlin dazu geführt, dass die Schulleiter des Bezirks Mitte sich bereits im Dezember mit einem Brandbrief an Senat und Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gewandt haben. Sie befürchten das "bildungspolitische Aus" des gesamten Bezirks.
Die gut 400 Millionen Euro, die Berlin aus dem zweiten Konjunkturpaket in Kitas, Schulen und Universitäten investieren soll, sehen die Schulleiter jetzt mit Skepsis. "Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt Hartmut Blees, Schulleiter der Moabiter Moses-Mendelssohn-Oberschule. In seiner Schule schätzt er den Sanierungsrückstand auf rund 20 Jahre. Ob marode Fenster oder heruntergekommene Flure - laut Blees ließen sich große Sanierungsmaßnahmen meist dadurch vermeiden, dass kleine Reparaturen rechtzeitig stattfänden. In ganz Berlin kalkulieren allein die Schulen ihren Sanierungsbedarf auf 900 Millionen Euro.
In Nordrhein-Westfalen sei die Situation ähnlich, meint der Vizevorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Norbert Müller. Der Zustand der 6.800 Schulen sei zumeist katastrophal - Fachräume fehlten, die Dächer seien leck, und in Lehrerzimmern, die für 40 Personen geplant waren, drängten sich 100 Kollegen. Das Land erhält aus dem Konjunkturprogramm voraussichtlich über 2 Milliarden Euro.
In Baden-Württemberg fehlen nach Ansicht der GEW vor allem Arbeitsräume und Mensen für den Ganztagsbetrieb. Mit der Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre und der Komprimierung des Stoffs in der Mittelstufe sind Gymnasien automatisch zu Ganztagsschulen geworden. In den Süden der Republik werden voraussichtlich 1,25 Milliarden Euro fließen. Am Freitag treffen sich die Finanzminister der Länder, um über das Konjunkturpaket zu beraten.
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