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Zweite BundesligaNur der Kapitän redet Klartext

Der FC St. Pauli enttäuscht in der Zweiten Fußball-Bundesliga mit einem 1:1. Nicht nur die Gegentribüne ist eine Baustelle, auch in der Mannschaft hakt es.

Kampf um den Ball: Paulis Jan-Philipp Kalla (l.) und Ingolstadts Caiuby Francisco da Silva. Bild: dpa

HAMBURG taz | Fabian Boll leistet sich gern eine eigene Meinung – unter Profifußballern fast ein Alleinstellungsmerkmal. Und so hob sich die Spielanalyse des neuen Kapitäns des FC St. Pauli nach dem 1:1 gegen Ingolstadt wohltuend von den Kommentaren seiner Mitspieler ab.

Die variierten in eigenen Worten allesamt die von Trainer André Schubert vorgegebene Perspektive auf die gerade zu Ende gegangene Saisonpremiere am Millerntor. Das Credo: Wir haben gut gespielt, uns leider dafür aber nicht mit Toren belohnt. Wenn wir so weitermachen, stellt sich der Erfolg von ganz alleine ein.

Boll fand die gerade dargebotene Leistung hingegen „sehr durchwachsen“. Die einzelnen Rädchen „würden noch nicht ineinandergreifen“, besonders im Mittelfeld laufe es „noch nicht rund“. Angesprochen auf die abweichenden Kommentare seiner Kollegen befand Boll, die hätten dann halt „keine Ahnung“ – wobei ein Schmunzeln verriet, dass er diesen Satz nicht als bös gemeinte Attacke verstanden wissen wollte.

Tatsächlich hatten nur die letzten zehn Minuten der mäßigen Partie der Spielanalyse von Schubert und Co. Nahrung gegeben. Da erspielten sich die Hamburger gegen die müder werdenden Gäste durch Florian Kringe und die eingewechselten Mahir Salik und Daniel Ginczek gleich fünf hochkarätige Schuss- und damit Siegchancen, die aber alle unplatziert abgeschlossen wurden. Besonders der erst in der 82. Minute ins Spiel gekommene Ginczek verbreitete bei seinem Kurzeinsatz aber mehr Unruhe im gegnerischen Strafraum als seine Sturmkollegen über die gesamte Spieldistanz.

Zuvor hatten die St. Paulianer achtzig Minuten lang aufgezeigt, was ihnen derzeit zu einem Zweitliga-Spitzenteam fehlt. Nach dem Abgang von Max Kruse fehlen den Hamburgern im Mittelfeld die ordnende Hand und das überraschende Moment. Statt mit schnellen, präzisen One-Touch-Pässen überbrückten die Hamburger das Mittelfeld vor allem in der ersten Hälfte mit langen Bällen, die nur selten einen Abnehmer fanden.

Während die Abwehr stabil steht, verströmen die etatmäßigen Stürmer Marius Ebbers und Lennart Thy wenig Torgefahr. Der 21-jährige Thy gilt als Talent, das noch etwas Zeit braucht. Der 34-jährige Ebbers hingegen gibt das Auslaufmodell, das derzeit vor dem Tor stets die falschen Entscheidungen trifft. So versiebte er bereits nach sieben Minuten eine Großchance, weil er den Ball volley auf die Tribüne donnerte, statt ihn zu kontrollieren und überlegt einzuschieben.

Wie Sturm-Qualität aussieht, zeigten hingegen die Ingolstädter, die mit einer kräftigen Finanzspritze von Trikotsponsor Audi die Mannschaft kräftig aufgerüstet haben und als Geheimfavorit für den Aufstieg gehandelt werden. Einige Probleme bereitete den Hamburgern das neue Sturmduo aus Caiuby und Christian Eigler, den auch St. Pauli vor der Saison heftig umworben hatte, bevor er dem Lockruf des Geldes in die Autostadt folgte. Erst zimmerte Caiuby den Ball nach 37 Minuten ans Lattenkreuz, dann tankte er sich nach 55 Minuten mustergültig durch die Defensive der Hausherren, tunnelte Kringe und bediente den heranstürmenden Eigler, der den Ball mit seinem Oberschenkel aus kurzer Distanz unhaltbar in die Maschen rammte.

St. Pauli reagierte auf diesen nicht unverdienten Rückstand schnell, benötigte aber einen Standard, um nur 80 Sekunden später den Ausgleich zu erzielen. Nach einem Freistoß von Bartels kam Ralph Gunesch gegen Florian Mohr zu spät, der den Ball unbedrängt zum 1:1 einköpfte.

Pikant dabei: Mohr ersetzte Gunesch, der vor einem halben Jahr mangels sportlicher Perspektiven von St. Pauli nach Ingolstadt gewechselt war, beim Kiez-Club als Innenverteidiger. Bei seiner Rückkehr ans Millerntor, wo er mehr als sieben Jahre spielte, wurde Gunesch von den 18.300 Fans frenetisch gefeiert, was ihm nach eigenem Bekunden „eine Gänsehaut über den Rücken jagte“.

Doch ohne Gunesch, Eigler und den Außenverteidiger Danny da Costa, den die Ingolstädter St. Pauli ebenfalls vor der Saison dank ihres üppigen Budgets vor der Nase weggeschnappt hatten, boten die Hamburger am Samstag nur Zweitliga-Hausmannskost. Schon frühzeitig droht nun der Kontakt zur Tabellenspitze abzureißen.

Das Team ist wie die neue Gegengerade, die erstmals von 4.000 Fans bevölkert werden durfte, noch eine Baustelle. Mit Carlos Zambrano wird wohl schon in der kommenden Woche der technisch beste Spieler den Verein in Richtung Eintracht Frankfurt verlassen – weitere Verstärkungen, auch für die Offensive, sind dann noch geplant. Doch während die Gegengerade mit 13.000 Plätzen im Winter fertig sein soll, könnte das Team bis dahin schon den Anschluss verpasst haben.

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1 Kommentar

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  • W
    Wired

    Klar, wenn ein Spieler nicht zu St. Pauli sondern nach Ingolstadt geht ist es der Ruf des Geldes...

     

    So kann man sich die Welt schön einfach machen. Wieso können es nicht einfach individuell bessere sportliche Perspektiven sein? Oder eine Aufbruchstimmung im Verein? Oder die Nähe zur Familie? Oder das bessere Wetter? Oder oder oder? Das Ingolstadts Profietat ähnlich wie der von St. Pauli sein dürfte wird da völlig ignoriert.

     

    Ich hätte von der Taz eigentlich erwartet das solche dümmlichen Fußball- und Stammtischklischees nicht unbedingt wiedergegeben werden.