Zweisprachige Gymnasien: Französisch ja, Türkisch nein!
Das Entsetzen über die Forderung nach türkischen Gymnasien legt tief verankerte Vorurteile offen. Für Englisch und Französisch gibt es schließlich längst zweisprachige Schulen.
Es gebe offenbar "eine Allergie gegen alles, was mit der Türkei und der türkischen Sprache zu tun hat", schimpft Grünen-Chef Cem Özdemir mit Blick auf die entsetzte Aufregung über den Vorschlag des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, türkische Gymnasien in Deutschland zu eröffnen. Es entstehe fast der Eindruck, "Türkisch sei eine Sprache von Aussätzigen", so Özdemir.
Und er hat Recht damit: Wer einmal Schulen in Berlin besucht hat, weiß, wie viele der türkeistämmigen Kinder dort zu akzeptieren gelernt haben, dass ihre Zweisprachigkeit ihnen eher als eine Art Behinderung denn als Zusatzkompetenz ausgelegt wird. An vielen dieser Schulen ist es bereits selbstverständlich, deutschtürkischen SchülerInnen die Verwendung ihrer "Muttersprache", die bei den meisten ja längst zur Zweitsprache geworden ist, während der Unterrichtszeit und in den Pausen per Schulordnung zu untersagen.
Dass das Kinder beschämt und ihre Familien verunsichert, ist nachvollziehbar - vor allem, weil Zweisprachigkeit ansonsten auch in deutschen Bildungseinrichtungen gern als Pluspunkt gesehen wird: Jedenfalls dann, wenn es sich bei der zweiten Sprache um Französisch, Englisch oder Spanisch handelt. Das Französische Gymnasium in Berlin ist überlaufen, ebenso die deutsch-amerikanische John F. Kennedy School - beides Schulen, die in Kooperation mit dem anderen Staat betrieben werden und in beiden Ländern anerkannte Abschlüsse anbieten.
Denn es gibt sie ja längst und zwar überall: Schulen, die als zwischenstaatliche Projekte oder "Auslandsschulen" das sind, was Erdogan nun vorschlägt. Auch Deutschland betreibt Schulen in der Türkei und in anderen Ländern, die sowohl von dort lebenden deutschen wie auch von einheimischen Kindern besucht werden können. Derzeit entsteht eine deutsch-türkische Universität in Istanbul - und Deutschland tut noch viel mehr als das.
Mit einer Internetseite (www.agdm.fuen.org) informiert das Bundesinnenministerium über seine Bemühungen um deutsche Minderheiten in 24 Ländern: Etwa über die Abkommen, die Deutschland mit den jeweiligen Staaten über den Erhalt der deutschen Sprache dort geschlossen hat. 1,65 Millionen Euro etwa stellt der Innenminister in diesem Jahr allein für die deutsche Minderheit in Rumänien zur Verfügung: "Ziel der Hilfenpolitik ist es", heißt es in der Pressemitteilung dazu, "die kulturelle Identität der deutschen Minderheit in Rumänien zu bewahren." Erdogan vorzuwerfen, er schüre mit seinem Vorschlag den Nationalismus der Türken in Deutschland, wie es etwa der Bürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), tut, wirkt vor diesem Hintergrund etwas kurz gedacht.
Aber auch die mit der Integrationskeule zuschlagende Kritik greift zu kurz: Selbstverständlich sollte, wer hier schulisch und beruflich erfolgreich sein will, die deutsche Sprache beherrschen. Das sieht übrigens auch Erdogan nicht anders, und auch an den bislang wenigen privaten Schulen, die von Trägervereinen "türkischer Herkunft" gegründet wurden, wird das nicht anders gesehen. Und selbstverständlich sollten Kinder jedweder Herkunft am besten gemeinsam zur Schule gehen. Die Forderung, deutsche und Migrantenkinder auf verschiedene Klassen oder Schulen aufzuteilen, wird offen nur von der NPD und einigen Rechtsaußen in CDU oder CSU erhoben.
In der Praxis existiert eine solche Trennung allerdings längst: Dass es vielerorts "türkische" oder "Migranten"-Schulen gibt, ist die andere Seite der Medaille und lässt die Aufregung über Erdogans Vorschlag umso verlogener erscheinen. Denn dass an manchen Schulen die Einwandererkinder unter sich bleiben, beruht ja keineswegs auf deren Wunsch. Und auch mit "türkischem Nationalstolz" hat es rein gar nichts zu tun. Im Gegenteil: Der Grund sind die Deutschen, die diese Schulen meiden und Integration damit nachhaltig erschweren. Wer sich über Erdogans Vorschlag ereifert, sollte auch überlegen, wie solche Ausgrenzung vermieden werden kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen