Zweifelhafte Präsente: Geschenke mit Explosionsgefahr

Der Chef der zerstörten Chemiefirma in Ritterhude hat Beamten Präsente gemacht. Die Opposition sieht Staatskanzleichef Jörg Mielke in „Korruptionsverdacht“.

Kann sich nicht mehr an Geschenke der Firma Organo-Fluid erinnern: der Chef der niedersächsischen Staatskanzlei Jörg Mielke Bild: dpa

HANNOVER taz | Knapp zwei Wochen nach der verheerenden Explosion eines chemischen Entsorgungsbetriebs in Ritterhude bei Bremen nehmen CDU und FDP den Chef der niedersächsischen Staatskanzlei, Jörg Mielke, ins Visier. Als ehemaliger Landrat des für die Baugenehmigungen des Chemiebetriebs zuständigen Kreises Osterholz müsse Sozialdemokrat Mielke „seine Rolle im möglichen Korruptionsfall von Ritterhude lückenlos aufklären“, fordert nicht nur CDU-Landtagsfraktionsgeschäftsführer Jens Nacke – von einem „Korruptionsverdacht“ spricht auch sein FDP-Kollege Christian Grascha.

NDR und Weser-Kurier hatten zuvor berichtet, dass gegen den Chef der in die Luft geflogenen Chemiefirma Organo-Fluid, Wolfgang Koczott, in den Jahren 2007 und 2008 wegen Bestechung ermittelt worden war. Als Beleg wurden alte Ermittlungsunterlagen der Zentralen Kriminalinspektion Oldenburg vorgelegt. Offenbar zur Landschaftspflege hat Koczott danach vielen Mitarbeitern der Gemeinde Ritterhude und des Landkreises Osterholz in der Weihnachtszeit Geschenke zukommen lassen. Meist handelte es sich um Alkoholika wie Champagner oder Cognac – für SekretärInnen war immerhin noch Sekt drin. Möglicherweise floß allerdings auch Bares: Firmenintern sprach Koczott auch von „Entschädigungs und Beruhigungsgeldern“.

Anwohner klagen dagegen, ihre Beschwerden über die Chemiefirma seien von den Behörden nicht ernst genommen worden: So hätten deren Mitarbeiter erklärt, ein auf Autos gefundener weißer Niederschlag könne auch von Tannen stammen, die von Läusen befallen seien. Und bei einer von BürgerInnen fotografierten schwarzen Rauchwolke, die aus einem Schornstein des Betriebs quoll, müsse es sich um eine „optische Täuschung“ handeln.

Staatskanzleichef Mielke soll nach firmeninternen Unterlagen von Organo-Fluid mit Champagner und Cognac bedacht worden sein. Der Sozialdemokrat sagt heute, er könne sich an diese Geschenke „definitiv nicht mehr erinnern“. Sollten Präsente für ihn eingegangen sein, habe er die wiederum selbst an seine MitarbeiterInnen verteilen lassen, meint Mielke – und räumt damit immerhin einen Verstoß gegen behördeninterne Vorschriften ein, nach denen die Annahme von Geschenken im Wert von zehn Euro und mehr verboten ist.

Auch 13 Tage nach Zerstörung der Chemiefirma Organo-Fluid in Ritterhude bei Bremen ist die Polizei auf der Suche nach der Unglücksursache - die Ermittlungen werden noch Wochen dauern.

Rund 40 Häuser wurden bei der Explosion beschädigt, acht davon so stark, dass ihre BewohnerInnen zunächst obdachlos wurden.

Weil der Entsorgungsbetrieb für chemischen Sondermüll am Abend in die Luft flog, wurde nur ein Mitarbeiter tödlich verletzt. Hätte sich der Unfall tagsüber ereignet, hätte es wohl weitaus mehr Todesopfer gegeben.

Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) lässt seinen Staatskanzleichef trotzdem den Rücken stärken. Weils Regierungssprecherin Anke Pörksen verweist darauf, dass sich das Ermittlungsverfahren der Oldenburger Polizei nur gegen Firmenchef Koczott, nicht aber gegen Staatsbedienstete gerichtet habe. „Gegen mich ist nicht ermittelt worden und ich weiß auch von keinem Ermittlungsverfahren gegen andere Behördenmitarbeiter“, versicherte auf taz-Nachfrage auch Jörg Mielke selbst.

Allein: Behördenintern nachprüfen lässt sich das nicht. Bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Verden wie bei der Polizei in Oldenburg gibt es keine einzige Akte mehr. „Aus Datenschutzgründen“, sagt Oberstaatsanwalt Marcus Röske, „wurden alle Unterlagen vernichtet.“

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