: Zweifelhafte Messergebnisse
Zwei Physiker wollen erstmals den Nachweis geführt haben, dass sich die Gravitationsfelder mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Kollegen jedoch zweifeln die Forschungsergebnisse an: Das Experiment sei falsch interpretiert worden
Isaac Newton, der vor gut dreihundert Jahren seine Gravitationstheorie entwickelte, glaubte, die Anziehungskraft wirke unverzüglich, unabhängig von Zeit und Raum. Vor neunzig Jahren baute Albert Einstein ein „Tempolimit“ ein. Seine Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt die Gravitation als Eigenschaft des von Masse gekrümmten Raumes. In diesem Raum, vergleichbar mit einer Delle oder einer Mulde in einer ebenen Fläche, breitet sich ein Gravitationsfeld nach Einstein mit genau derselben Geschwindigkeit aus wie das Licht, also mit knapp 300.000 Kilometern pro Sekunde.
Diese Geschwindigkeit wollen zwei Forscher nun zum ersten Mal gemessen haben, der russische Physiker Sergei Kopeikin und der amerikanische Radioastronom Ed Fomalont. Das Ergebnis ihres Experiments, das sie Anfang Januar veröffentlichten: Gravitation hat eine endliche Geschwindigkeit, und die entspricht wahrscheinlich der Einstein’schen Annahme. Kopeikin und Fomalont konnten sie bis auf 20 Prozent ober- bzw. unterhalb der Lichtgeschwindigkeit eingrenzen.
Bei dem Experiment beobachteten Kopeikin und Fomalont, wie die Radiostrahlung einer weit entfernten Galaxie durch das Schwerkraftfeld des Riesenplaneten Jupiter abgelenkt wurde. Kopeikin will eine mathematische Methode gefunden haben, wie sich daraus die Geschwindigkeit der Gravitation berechnen lässt.
Da es um extrem kleine Messwerte ging – sie entsprechen dem Winkel, unter dem ein menschliches Haar aus 500 Kilometern Entfernung erscheint –, ließen die beiden Forscher weltweit Radioteleskope zu einem so genannten Interferometer zusammenschalten: Mehrere US-amerikanische Radioteleskope sowie das Effelsberger 100-Meter-Radioteleskop in der Eifel ergaben zusammen ein virtuelles Teleskop mit etwa 10.000 Kilometer Durchmesser.
Erwiesen sich Messergebnisse und Mathematik des Experiments als richtig, breitete sich die Gravitation also tatsächlich mit Lichtgeschwindigkeit aus, so wäre nicht einfach nur erneut eine theoretische Vorhersage Einsteins bestätigt worden. Es hätte vielmehr Folgen für die konkurrierenden Theorien über den Kosmos.
So gut die Einsteinsche Physik das Universum im Großen beschreibt, so wenig funktioniert sie in der Welt der Elementarteilchen – sie lässt sich mit der Quantenmechanik nicht in Einklang bringen. Um beide Theorien zu einer gemeinsamen Theorie zu vereinen, haben Physiker in den vergangenen Jahrzehnten hochabstrakte mathematische Konzepte exotischer Teilchen und unsichtbarer multidimensionaler Raum-Zeit-Welten entwickelt, in denen beispielsweise Gravitation sich mit Überlichtgeschwindigkeit ausbreiten kann. Solche Theorien, so Kopeikin, seien mit dem Beweis zur Geschwindigkeit der Gravitation nur noch eingeschränkt gültig.
Unter Forscherkollegen wird zwar das Experiment an sich gerühmt, doch Kopeikins Mathematik ist umstritten – nach der Veröffentlichung der Daten des Experiments im Januar entspann sich eine heftige Kontroverse in der Gemeinde der Gravitationsspezialisten. Kopeikin und Fomalont hätten in Wirklichkeit die Lichtgeschwindigkeit gemessen, nicht die der Gravitation, meint ein japanischer Physiker. Gar als „Nonsens“ bezeichnen andere Forscher Kopeikins Konstruktionen, während Kopeikin kontert: „Bisher hat einfach niemand meine Mathematik verstanden.“ Auch Gernot Neugebauer, theoretischer Physiker und Sprecher des Sonderforschungsbereiches Gravitationswellenastronomie in Jena, wo Kopeikin in den letzten Jahren die Idee zum Experiment ausarbeitete, sagt, Kopeikin habe das Experiment falsch interpretiert.
KENO VERSECK