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Archiv-Artikel

Zwei Säulen Schule

Wie gerecht kann ein zweigliedriges Schulsystem werden? Was wird aus der Gesamtschule? Und wieso sollen die Gymnasien erhalten bleiben? Die SchulpolitikerInnen Britta Ernst, SPD, und Robert Heinemann, CDU, im taz-Streitgespräch

Heinemann: „Es ist besser, ein System zu haben und nicht viele nebeneinander“Ernst: „Eltern wollen Schulen, in denen der Bildungsweg offen gehalten wird“

Moderation: Kaija Kutter

taz: Frau Ernst, Sie wollen die Hauptschule abschaffen. Wie ginge das?

Britta Ernst: Ganz einfach. Dort, wo Haupt- und Realschulen (HR) unter einem Dach sind, sollte gemeinsam unterrichtet werden. Nach dem Modell der bereits erfolgreichen Integrierten Haupt- und Realschulen (IHR) oder der Gesamtschulen.

Herr Heinemann, Sie könnten sich ein Modell à la Sachsen vorstellen, wo es nur noch Gymnasien und Mittelschule gibt. Liefe das so?

Robert Heinemann: Ja und nein. Wir wollen die „Selbstverantwortete Schule“ und den Schulen nicht mehr vorschreiben, wie sie sich organisieren. Wir wollen die Ergebnisse messen und gucken, was kommt hinten raus. Die Frage, ob ab Klasse 5 oder 7 oder nur in einzelnen Fächern differenziert unterrichtet wird, überlassen wir den Schulen.

Ernst: Wir wollen, dass integriert unterrichtet wird, weil dies bessere Ergebnisse bringt. Wenn man es den Schulen freistellt, gibt es weiter reine Hauptschulzweige. Das ist für Hamburg nicht verantwortbar. Nach Studien führt das integrierte Lernen zu besseren Ergebnissen. Sowohl IHR als auch Gesamtschulen schaffen es, die Hauptschüler besser mitzunehmen und zu motivieren. Die Hauptschule ist eine Restschule geworden, deren Schüler sich als Verlierer empfinden, und die zu einer Ballung von Problemen führt. Deswegen wollen wir, dass diese Schüler mit anderen unterrichtet werden, um ihre Potenziale, die ja da sind, zur besseren Geltung kommen zu lassen.

Heinemann: Es ist nicht alles so schwarz und weiß. Es gab im Jahr 2004 an IHR-Schulen sogar mehr Abbrecher als an HR-Schulen. Es gibt ganz hervorragende IHR-, es gibt aber auch ganz hervorragende HR-Schulen. Und jede Schule hat eine ganz eigene Schülerklientel. Deswegen sollten wir die Organisation den Schulen zu überlassen.

Aber sollte Politik nicht Vorgaben machen?

Heinemann: Ja, was die Ergebnisse anbelangt. In der Vergangenheit hat man aber stattdessen den Weg vorgegeben – mit der Folge, dass sich die Schulen für ihre Ergebnisse nicht verantwortlich fühlten.

Ernst: Die guten Ergebnisse der IHR-Studie sind aber nur sehr zögerlich von der Behörde veröffentlicht worden. Die zeigt, dass dort die schwächeren Schüler erfolgreicher sind. Das müssen wir den Schulen vermitteln.

Heinemann: Ich habe nichts dagegen, diese Studie noch mal zu verbreiten.

Sachsen hat nur zwei Schulformen. Wieso bringt das gute Pisa-Ergebnisse?

Heinemann: Auch dort ist es nicht die Schulform allein. Es gab dort auch einen Druck auf die Schulen, zu guten Ergebnissen zu kommen, weil viele geschlossen wurden. Ich glaube aber, es ist besser, ein System zu haben und nicht viele nebeneinander.

Tut die CDU genug?

Ernst: Es ist erfreulich, wenn die CDU sieht, dass die Vielgliedrigkeit in Hamburg ein Problem ist. Das teile ich. Um aber die große Risikogruppe, die wir haben, zu verkleinern, wären viele andere Maßnahmen notwendig, unter anderem mehr Geld für die Bildung. Das zeigt auch der internationale Vergleich.

Es gibt Sorge, die Gesamtschulen würden abgeschafft.

Heinemann: Das habe ich explizit so gesagt. Wenn wir ein zweigliedriges Schulsystem haben wollen, wollen wir nicht noch eines nebenher. Ich habe aus dem Gesamtschulbereich einige vorsichtig-positive Resonanzen bekommen.

Zur Abschaffung?

Heinemann: Es gibt auch dort Menschen, die über Lösungen nachdenken. Wir haben doch heute schon Gesamtschulen, die keine Oberstufe haben und quasi IHR-Schulen sind.

Heute können Eltern ihr Kind auf eine Gesamtschule geben, wenn sie das Abitur anstreben. Wäre das noch möglich?

Heinemann: Na klar. Sie können ihr Kind auch auf eine Haupt- und Realschule geben, wenn sie das Abitur anstreben.

Ernst: Sehr unwahrscheinlich.

Heinemann: Wir haben mit den Aufbaugymnasien und den beruflichen Gymnasien keine schlechten Erfolgsquoten.

Ernst: Ich glaube, das ist ein Knackpunkt. Meine Sorge ist, dass Schulen, die gut arbeiten, durch eine Schulstrukturdebatte gefährdet werden. Das können wir uns nicht leisten. Wenn Gesamtschulen erfolgreich arbeiten und Erhebliches leisten, indem sie Kinder, die keine Gymnasialempfehlung haben, trotzdem in die Oberstufe bringen, müssen sie auf der Hamburger Karte erhalten bleiben.

Heinemann: Das ist nur bedingt logisch. Wir haben auch sehr erfolgreiche HR-Schulen, denen Sie sehr gerne eine Strukturdebatte überstülpen wollen.

Ernst: Es geht darum, dass die Schulformen sich nicht immer ihrer Schüler entledigen. Vielgliedrigkeit erlaubt den Schulen zu klagen, sie hätten die falschen Schüler, statt sie zu fördern.

Heinemann: Deshalb kommt man ja aufeinander zu. Man hat Jahrzehnte auf seinen Positionen verharrt, weil beide ihre Richtigkeit haben. Auf der einen Seite gibt es im gegliederten System das Risiko, dass man sich seiner Schüler entledigt. Auf der anderen Seite hat man das Risiko, dass aus Chancengleichheit Gleichmacherei wird. Die einvernehmliche Schaffung eines zweigliedrigen Systems würde uns helfen, unsere Anstrengungen auf das Innere der Schulen zu konzentrieren, damit wir beide Risiken vermeiden können.

Es soll auch für gute Schüler von Vorteil sein, lange in heterogenen Gruppen zu lernen. Warum klammern Sie die Gymnasien aus?

Heinemann: In Hamburg melden sich fast 47 Prozent eines Jahrgangs für das Gymnasium an. Diese sind für sich schon vom Leistungsspektrum her sehr heterogen. Es sind auch nicht alle in der Lage, mit Heterogenität umzugehen.

Und die SPD?

Ernst: Die Schulen müssen die Freiheit haben, alle Schüler gemeinsam mit den Leistungsstärkeren zu unterrichten. Eltern wollen Schulen, in denen der Bildungsweg offen gehalten wird. Da beißt es sich mit den Vorstellungen der CDU. In einem solchen System wird die Entscheidung nach Klasse 4 sehr wichtig und kann erst nach Klasse 10 korrigiert werden.

Heinemann: Nein, vorher.

Ernst: Wenn Sie den stärkeren Schülern im zweigliedrigen Modell nur in der einen Säule den Platz geben, dann wird die Entscheidung nach Klasse 4 sehr hart.

Heinemann: Bisher hatte eine Realschule keinerlei Anreiz, einen guten Schüler ans Gymnasium abzugeben. Das werden wir mit der „Selbstverantworteten Schule“ ändern.

Ernst: Das Problem ist, dass wir eine sehr ungleiche Stundentafel haben und mit der zweiten Fremdsprache ab Klasse 6 einen tiefen Graben zwischen den Gymnasien und dem Rest gezogen haben.

Heinemann: Durch die Schulzeitverkürzung ist es in der Tat schwieriger als bisher, von der Realschule zum Gymnasium zu wechseln – aber anders als Sie werden wir es zulassen und fördern.

Ernst: Wir müssen die Stundentafeln angleichen. Warum sollen nur die Leistungsstärkeren mehr Unterricht bekommen? Das hat den Graben vertieft.

Heinemann: Niemand bekommt mehr, wir haben die Stunden wegen der Schulzeitverkürzung nur anders verteilt. Ständige Übergangsmöglichkeiten erhöhen aber auch nur den Druck auf die Schüler. Deswegen wollen wir den Wechsel auf die Beobachtungsstufe und auf nach Klasse 10 konzentrieren. Was nicht ausschließt, dass es Ausnahmen gibt.

Ernst: Der Haken ist nur, dass in so einem System es für die Eltern noch anstrengender wird, die richtige Schulform nach Klasse 4 zu wählen. Weil die Möglichkeit des integrierten Systems, das den Bildungsweg weiter offen lässt, so nicht vorhanden ist. Und das zweite System ist eine abgehängte Schule mit einer anderen Stundentafel.

Heinemann: Die Schüler haben doch weiter die Möglichkeit, nach Klasse 10 in einer Oberstufe das Abitur zu machen. Ob wir die dann an der bisherigen Gesamtschule oder woanders im Stadtteil organisieren, sollten wir besprechen.

Ernst: Es wäre sinnvoll, wenn nicht festgelegt wäre, dass jedes Gymnasium eine Oberstufe hat und jede andere Schule keine. Das wäre auch angemessen, weil viele dieser Oberstufen zu klein sind. Da gibt es Gesprächsbedarf.