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■ Zwangsscheidung des ägyptischen Gelehrten Abu Zeid„Unser Recht – eine wilde Mischung“

In einem bisher in Ägypten einzigartigen Gerichtsverfahren wurde der muslimische Linguistikprofessor Nasr Hamid Abu Zeid am 14. Juni von einem Gericht zum Apostaten – zu einem vom Islam Abtrünnigen – gebrandmarkt. Als Konsequenz ordnete das Gericht die Zwangsscheidung von seiner muslimischen Frau Ibtihal Junis an. Ein Apostat, so das Gericht, dürfe nicht mit einer Muslimin verheiratet sein. Abu Zeid steht für seine kritischen Studien islamischer Quellen wie dem Koran auf den Todeslisten militanter Islamisten.

taz: Letztes Jahr wurde eine Klage islamistischer Anwälte gegen Sie von einem ägyptischen Gericht abgelehnt. Vor zwei Wochen wurden Sie an der Universität befördert. Haben Sie und Ihre Frau ein solches Urteil, wie es das Berufungsgericht jetzt gefällt hat, noch erwartet?

Abu Zeid: In dieser Form haben wir das nicht erwartet, obwohl wir bereits dem Berufungsgericht gegenüber unsere Zweifel hatten. Der Richter machte durch sein Aussehen und seine Kleidung schon den Eindruck, als sei er ein Kind der Islamisten. Wir haben geglaubt, er würde das alte Urteil nur annullieren und den Fall neu zur Diskussion öffnen. Statt dessen gab er sich selbst das Recht, in den Inhalt einzutauchen, meine Ideen zu überprüfen und selbst zu urteilen und mich am Ende als Apostaten abzustempeln, der geschieden werden müsse. Das war dann in der Tat schockierend und unerwartet.

Wie haben Ihre Frau und Sie auf das harte Urteil reagiert?

Die ersten Stunden durchlebten wir eine Mischung aus Schock, Wut und Traurigkeit. Es ging dabei nicht nur um uns als Individuen. Wir haben uns um das Image des Islam und unseres Landes gesorgt. Dieses Urteil betrifft nicht nur uns, sondern alle Menschen, die Zivilgesellschaft und die Grundlagen der Familie, das Leben des einzelnen. Nach ein paar Stunden bekamen wir dann Solidarität aus ganz Ägypten zu spüren, von unseren Kollegen, Intellektuellen, Journalisten, unserer Familie. Leute aus der ganzen Welt haben hier angerufen. Sie haben uns, um unsere Sicherheit besorgt, in ihre Länder eingeladen. Nach den ersten Stunden Horror bekamen wir das Gefühl, daß das nicht nur unser Fall ist. Das ist ein Fall der ganzen Nation und aller Menschen.

Was werden Sie jetzt tun? Ziehen Sie oder Ihre Frau aus der ehelichen Wohnung aus?

Wir leben immer noch zusammen. Wir versuchen eine aufschiebende Wirkung des Urteils zu erreichen, bis ein höheres Gericht entscheidet. Ich glaube, wir werden damit Erfolg haben, und dann müssen wir abwarten, was der Oberste Gerichtshof entscheidet.

Wie lange wird das dauern?

Es kann mehr als ein Jahr dauern. Aber ich glaube aufgrund des öffentlichen Aufschreis, daß es nicht so lange dauern wird.

War es das erste Mal, daß ein ägyptisches Zivilgericht jemanden zum Apostaten abgestempelt hat?

Daß jemand gerichtlich zum Apostaten abgestempelt wird, um dann von seiner Frau geschieden zu werden, ist in der ganzen islamischen Geschichte einzigartig.

Was bedeutet Ihr Fall für das ägyptische Rechtssystem? Es scheint mittlerweile eine große Anzahl islamistisch gesinnter Richter zu geben. Neben Ihrem Fall hatte uns vor ein paar Monaten erst das Verbot des Filmes „Der Emigrant“ von Jussuf Schaheen beschäftigt. Da hatte ebenfalls ein islamistischer Richter von sich reden gemacht.

Das ist traurig. Es gibt ziemlich viel Verwirrung, was die Rechtslage in Ägypten betrifft. In Wirklichkeit gibt es hier inzwischen zwei parallele Rechtssysteme: das Zivilgesetz und die Scharia – das Islamische Recht. So ist es heute für einen Richter möglich, nach dem Zivilgesetz zu urteilen, während ein anderer sich an die Scharia hält und das Zivilgesetz komplett ablehnt.

Entsteht diese Verwirrung aus der Tatsache, daß in Artikel 2 der ägyptischen Verfassung die Prinzipien des Islamischen Rechts zur Grundlage der Gesetzgebung gemacht wurden?

Das ist ein Grund. Aber sogar in den einzelnen Gesetzesbüchern gibt es diese wilde Mischung aus zwei Rechtssystemen. Es ist leicht für einen Richter, nach der Scharia zu urteilen, besonders im Ehe- und Scheidungsrecht. Es gibt auch eine Regelung, in der es heißt: Wenn ein Richter keine Entscheidungshilfe im Zivilgesetz findet, dann kann er auf die Scharia zurückgreifen. In meinem Fall hat der erste Richter nach dem Zivilgesetz geurteilt, während sich das Berufungsgericht auf die Scharia zurückgezogen hat. Im Fall des Filmemachers Schaheen passierte das Gegenteil: In der ersten Instanz wurde sein Film auf Grundlage des Islamischen Rechts verboten, im zweiten Verfahren laut Zivilgesetz erlaubt. Es scheint mir, als lebten wir nicht in einem einheitlichen Rechtssystem. Wahrscheinlich leben wir inzwischen nicht mehr in einem einheitlichen Land.

Sie leben ziemlich unsicher. Militante Islamisten fordern bereits Ihr Blut. Wie leben Sie heute? Bei unserem letzten Gespräch im September hatten Sie eine Bewachung vor dem Haus und an der Universität. Aber das sah noch sehr lax aus.

Ich habe jetzt mehr Bewacher gestellt bekommen und muß sie im voraus über jede meiner Bewegungen informieren.

Fahren Sie noch jeden Morgen zur Universität?

Wir haben gerade die Prüfungen beendet und sind jetzt in der Korrekturphase. Nächsten Monat muß ich wieder an die Universität, weil einige meiner Doktoranden ihre Arbeit vorstellen.

Das heißt, Sie werden nächstes Semester wieder dozieren?

Ich habe eine Einladung des Berliner Wissenschaftskollegs, um dort ein Jahr lang zu forschen. Aber das beginnt erst Ende nächsten Jahres. Jetzt habe ich auch Einladungen erhalten, die am Ende dieses Jahres beginnen. Ich glaube, ich werde eine dieser Einladungen annehmen.

Sie lassen also die islamische Welt für eine Weile hinter sich?

Einige Leute glauben, ich will das Land als politischer Flüchtling verlassen. Das ist falsch. Ich gehe vielleicht für eine begrenzte Zeit als Gastprofessor mit der Erlaubnis meiner Universität in einem anderen Land arbeiten. Die Kairoer Universität steht gegenwärtig voll hinter mir. Der Universitätspräsident hat mit den Juraprofessoren ein Komitee gebildet. In einer Erklärung haben sie das Urteil als vollkommen bedeutungslos bezeichnet. Ich möchte meine Universität keinesfalls für immer verlassen.

In den letzten Tagen hat eine Gruppe von Rechtsgelehrten der islamischen Ashar-Universität in einer Erklärung das Urteil voll unterstützt und Sie aufgefordert, Ihre Meinungen zu widerrufen.

Das sind einzelne, nicht die Universität. Die Islamisten, einschließlich einiger Rechtsgelehrter der Ashar, tanzen jetzt um mich wie um ein Opfer am Marterpfahl. Interview: Karim El-Gawhary

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