Zur Lage : Zustände wie im Königreich Scherf
Altbundespräsident Johannes Rau hat einmal über gesalzene Erdnüsse gesagt: Wenn man eine Dose aufgemacht hat, kann man nicht mehr aufhören. So muss es Henning Scherf mit der Macht gehen. Er empfindet „99 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung“, sagt er: „Ich hol’ mir meine Motivation von außen.“ Den irdischen Zuständen, in denen es unterschiedlichen Meinungen, demokratische Mehrheiten, Opposition, ja sogar Kritik gibt, sieht er sich entrückt. Er kennt keine Parteien mehr, allenfalls Gremien, doch auch die berühren ihn nicht: „Meine Kraft beziehe ich nicht aus Gremien…“ Im Reiche Scherf herrscht Sonnenschein – dass dies das „politische Milieu nicht immer mitkriegt, stört mich nicht sehr“ (Weser Report). Das „politische Milieu“, das ist seine Partei und das sind die Parlamentarier, die Legislative.
Der Parlamentspräsident Christian Weber hat bemerkt, er komme sich in Bremen vor „wie in einem kleinen Königreich“. Scherf antwortet, Weber habe da einen neuen Pressereferenten, der sich profilieren wolle. Ein renitenter Sekundärdiener. Mehr ist das für Scherf nicht. Den Repräsentanten der Legislative nimmt er nicht ernst.
Auch das Parlament nimmt Scherf nicht ernst. Auf die Kritik, dass das Rathaus sich über Kompetenzen des Parlamentes hinwegsetzt, sagt er: „Entscheidend ist, was Bremen gut tut. Wir werden gemeinsam an dem gemessen, was unter dem Strich herauskommt. Und Ihr, liebe Abgeordnete, habt auch kein grenzenloses Mandat. Einige übrigens haben es über mich gekriegt.“ So jetzt wörtlich im Weser Kurier.
Abgeordnete, die zufrieden damit sein sollen, dass sie sich in seinem Licht sonnen dürfen. Abgeordnete von des Königs Gnaden. In seiner Verblendung ignoriert Scherf sogar die Bremische Landesverfassung: Die kennt das Kollegialprinzip von Senatoren.
Das vornehmste Recht des Parlaments in der Demokratie ist demnach das Haushaltsrecht. Auch das schert Scherf wenig. Die Erlöse, die Bremen vom Energieversorger Eon bekommen hat (als Ablösesumme vertraglicher Rechte im Zusammenhang von Gesellschafteranteilen an der SWB) müssten nicht im Haushalt als Einnahmen verbucht werden, sagt Scherf. „Es handelt sich nicht um Haushaltsgelder.“ Um was dann? Nach Scherf gibt es außerhalb des Haushaltes „Gelder, die nach Abstimmung mit dem Senat direkt die Zuschussempfänger erreichen sollten. So war die Verabredung mit dem Energieversorger Eon, und das ist mitgeteilt worden“ (Weser Kurier).
Verräterisch dieses Passiv. Scherfs Redeweise lässt bewusst im Dunkeln, wer das Was verabredet oder getan hat. Warum müsste der Senat zustimmen, wenn es nicht um Haushaltsgelder geht? Der Streit geht insbesondere um die 500.000 Euro aus dem 20-Millionen-Schatz der Eon, die der Grass-Stiftung überwiesen wurden. In der Senatssitzung vom 11.11.2003 wurde die Verteilung der Eon-Gelder beschlossen – im Protokoll aber steht von der Grass-Stiftung kein Wort. 15 Millionen Euro sollen an die Privatuniversität IUB weitergegeben werden, steht da, die restlichen fünf Millionen Euro von der Zahlung der Eon sollen „als Ertrag vereinnahmt“ werden. Wenn nicht im Haushalt – wo denn sonst? Kein Wort davon in dem Senatsbeschluss, dass das Grass-Geld „direkt die Zuwendungsempfänger“ erreichen sollte und dass mit der Eon etwas über die Grass-Stiftung verabredet sei.
Wenn die 20 Millionen Euro, die die Eon in einer Summe an Bremen bezahlt hat und die die Eon selbst nicht als „Spende“ ausweist, nicht als Haushaltsgeld erscheinen sollen, dann hat das einen schlichten Hintergrund: die Sanierungsauflagen des Bundes. Danach darf Bremen seine laufenden Ausgaben nur geringfügig steigern. Wenn es ungeplante Einnahmen gibt, sollen sie zur Schuldentilgung verwendet werden oder zumindest als Investition. Damit der Bund und die anderen Länder nicht den Eindruck gewinnen, dass Bremen die vereinbarte Ausgabensteigerungsrate überzieht und großzügig die laufenden Kosten von Institutionen wie der IUB oder der Grass-Stiftung trägt, wird der Eindruck erweckt, die Eon habe die 20 Millionen nicht als Ablösesumme vertraglicher Rechte gezahlt, sondern als Spende für diverse Zwecke, die nur aus technischen Gründen auf einem Konto der Freien Hansestadt Bremen gelandet sind und daher nun „weitergeleitet“ werden.
Eigentlich sollten mit dem Trick weniger die Parlamentarier betrogen werden als vielmehr der Finanzplanungsrat des Bundes und der Länder. Aber 15 Millionen Euro – das müsste man in Bremen nach dem verlorenen „Kredit“ an die Köllmann-Gruppe (1999) wissen – zahlt niemand einfach so auf irgendein Konto. Schon gar nicht die Eon.
Die Behauptung, es handele sich bei diesen Summen nicht um Haushaltsgeld, ist also eine Notlüge. Scherf glaubt, dass er damit durchkommt, weil er sich längst jenseits verfassungsmäßiger Regeln sieht. Am Dienstag wird die Debatte in der Stadtbürgerschaft zeigen, ob das Parlament sich das „Königtum“ Scherfs gefallen lässt. Klaus Wolschner