Zusammenstöße trotz Ausgangssperre: Eskalation im Kaschmirtal

Mindestens ein Toter und zwei Verletzte bei Zusammenstößen zwischen Paramilitärs und Demonstranten in Srinagar. Politische Parteien rufen für Montag zu Sitzstreik auf.

Hunderttausende versammelten sich in Srinagar, um die Freitagsgebete abzuhalten. Bild: dpa

DELHI taz Die Auseinandersetzungen im indischen Teil Kaschmirs verschärften sich. Mindestens ein Mensch starb, zwei weitere wurden verletzt, als Paramilitärs am Sonntag in der Hauptstadt Srinagar auf Demonstranten schossen, die trotz einer Ausgangssperre auf die Straße gegangen waren. Auch in anderen Orten in der Region kam es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Die Armee, die sich sonst zurückhält, wurde erstmals seit Jahren in Bereitschaft versetzt.

Die Behörden hatten am Wochenende eine Ausgangssperre über das gesamte Kaschmirtal verhängt, nachdem es am Freitag zu der vielleicht größten Demonstration im indischen Teil Kaschmirs aller Zeiten gekommen war. Hunderttausende versammelten sich auf dem Eidgah-Feld in Srinagar, um die Freitagsgebete abzuhalten. Sie skandierten "Freiheit für Kaschmir" und schwenkten grüne Fahnen, die an die pakistanische Nationalflagge erinnern. Trotz der Ausgangssperre riefen politische Parteien für den heutigen Montag zu einem Sitzstreik im Zentrum von Srinagar auf. Weitere Zusammenstöße mit Sicherheitskräften sind abzusehen.

Berichte dringen aus der Region nur langsam vor, denn die Behörden erteilten zahlreichen Medienvertretern keine Genehmigung, trotz der Ausgangssperre zu berichten. Mehrfach prügelten paramilitärische Einheiten auch auf akkreditierte Journalisten ein, die versuchten, sich ein Bild von der Lage zu machen. Mindestens 15 mussten in Krankenhäusern behandelt werden, mehrere Autos von Journalisten wurden beschädigt. Zumindest wurde bekannt, dass Sicherheitskräfte bereits am Samstagabend damit begannen, Vertreter der gemäßigt separatistischen Hurriyat Conference festzunehmen, die in den vergangenen Wochen die Proteste angeführt hatte.

Das Gesicht dieser Proteste hatte sich in den vergangenen Wochen deutlich verändert. Vor knapp zwei Monaten gingen ausschließlich junge Männer auf die Straßen und demonstrierten gegen die Vergabe von einigen Hektar Land an eine hinduistische Stiftung. Schnell wurde die jahrzehntealte Forderung nach einer Loslösung von Indien bei den Demonstrationen laut. Inzwischen sind immer mehr Frauen, Kinder und alte Menschen bei den häufigen Kundgebungen zu sehen. Damit verstärkt sich der Eindruck einer generellen Volkserhebung.

In Indien ist nun eine aufgeregte Debatte darüber entbrannt, wie das Land weiter in der Kaschmirfrage verfahren solle. Die bekannte Schriftstellerin und Booker-Preisträgerin Arundhati Roy sorgte dabei für einen Eklat. Bei einer Demonstration vor der UN-Vertretung in Srinagar vor einer Woche sagte sie: "Die Reaktion der Menschen in Kaschmir ist ein Referendum. […] Indien braucht die Unabhängigkeit von Kaschmir so sehr wie Kaschmir die Unabhängigkeit von Indien." Die politische Elite des Landes reagierte auf diese Äußerung äußerst scharf. Die regierende Kongresspartei erklärte, es zeuge von "Indiens Zugeständnis an die Toleranz", dass jemand, "der offen zur Sezession des Landes aufruft, nicht eingesperrt wird und die Schlüssel weggeworfen werden".

Omar Abdullah, Abgeordneter für die Nationalkonferenz von Jammu und Kaschmir im indischen Unterhaus, heizte die Debatte weiter an. Er sagte, nun solle über die Frage der Unabhängigkeit offen verhandelt werden. Dieser Satz dürfte Delhi alarmieren. Denn Abdullah, einer der einflussreichsten Politiker Kaschmirs, forderte bislang nur eine erweiterte Autonomie seines Landes innerhalb Indiens.

Doch für die Regierung in Delhi ist es weiterhin undenkbar, diese Frage überhaupt zu diskutieren. Zudem häufen sich Berichte, wonach militante Separatisten verstärkt versuchen, aus Pakistan in den indischen Teil Kaschmirs einzusickern. Sollte es nicht doch noch zu Gesprächen zwischen den Befürwortern einer Unabhängigkeit und der Regierung in Delhi kommen, droht der Konflikt zu eskalieren.

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