ANONYMITÄT? NEIN DANKE! : Zusammen, aber allein
Viele Menschen behaupten, sie könnten ohne das Internet nicht leben, sie fühlten sich isoliert von der Welt, wenn das Handy ausgeht oder der PC kaputt ist. Die digitale Community ersetzt, was der städtische Alltag kaum mehr bietet: das Gefühl, eingebunden zu sein in eine Gemeinschaft. Das Miteinander in der Nachbarschaft, so wie im Dorf, gibt es in der Stadt nur selten.
Ist ständige Erreichbarkeit ein Ersatz für echte Verbundenheit? Diese Rechnung geht nicht auf. Digitale Netzwerke schaffen einfach nicht das Gemeinschaftsgefühl, das sie suggerieren: Dort pflegt man Beziehungen per Gefällt-mir-Button und sortiert sein Umfeld ganz bequem per Löschfunktion. Wenn ein Facebook-„Freund“ etwas Unbequemes sagt, kann man ihm mühelos aus dem Weg gehen, ohne dass es je zur Klärung kommt. Die Anonymität der Großstadt setzt sich im Internet fort, wo man den Leuten nicht mehr wirklich ins Gesicht sehen muss. Überhaupt gibt es keinen Augenkontakt, kein Spiel mit der Stimme. Die Wahrnehmung des Anderen hängt von seiner Selbstdarstellung ab.
Dabei bietet gerade das Internet auch Möglichkeiten, das soziale Leben aus dem Netz heraus- und in die Wirklichkeit zurückzuholen. Auf digitalen Plattformen kann man sich zum gemeinsamen Kochen oder Joggen verabreden, es lassen sich urbane Projekte in Angriff nehmen und Tauschgemeinschaften bilden. Wer nicht viel Zeit hat, macht es wie früher: Er gibt sich einen Ruck und lädt den Nachbarn zum Kaffee ein. SONJA HONKE