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Zusätzliches Zeitkonto für ErfolgReiche

betr.: „Ich verstehe das als Experiment“ („Neu in Berlin“ [12]), taz vom 4. 1. 00

Es gibt gewichtige Gründe, darauf wird man von Zeit zu Zeit mit der Nase gestoßen, für die Privilegien der ErfolgReichen. Arbeiten diese (wie der Unternehmer Bernd Kolb) doch mit 14 Stunden täglich bald doppelt so lange wie unsereiner. Wer wollte ihnen da acht Stunden Schlaf verwehren, obschon man selber meist nicht auf mehr als sieben kommt. Doch zum Ausgleich bleibt dem Normalverbraucher erheblich mehr für „Entspannung“, nämlich ansehnliche neun Stunden pro Tag, wo der Workaholic sich mit nur zweien begnügen muss!

Bereits die täglichen Wege zwischen Wohnung und Büro nutzen denn auch immer mehr findige Kleinverdiener zu Regenerationszwecken – selbst Fahren in überfüllten U-Bahnen –, wenn auch nicht überall zur Medidation, so doch mindestens zur Kommunikation, ebenso das Schlangestehen an Geldautomaten und Postschaltern. Dem Großverdiener dagegen ist davon abzuraten, derlei unter der Rubrik „Entspannung“ zu verbuchen. Denn sonst bleibt ihm praktisch keine Zeit mehr für gewöhnliche Arten der Erholung wie Fernsehen, Sport, Treffen mit Freunden. Er muss ohnehin zusehen, wie er über die Runden kommt mit den Konstanten Aufstehen, Zähneputzen, Stoffwechsel – nicht zu vergessen, Frühstück, Mittag, Abendbrot (Planen, Einkaufen, Zubereiten, Entsorgen nicht eingerechnet). Dennoch: Zeit kann er durchaus auch beim Essen sparen, wenn er gleichzeitig seine Post durchsieht.

Schwieriger wird es bei Kino- oder Theaterbesuchen, wobei der „Pate“ eventuell noch als semiberufliche Veranstaltung durchgehen mag, nicht aber beispielsweise „Shoppen und Ficken“. Die häufig sich anschließende gesellige Runde in der Kneipe gibt sein mageres Entspannungskonto aber beim besten Willen nicht mehr her, es sei denn, er ist bereit, zum Ausgleich eine Weile auf Duschen, Sex und Essen im Sitzen zu verzichten.

Hoffnungslos? Hier ist die Lösung – einfach, genial und dazu noch voll im Trend: Damit der ErfolgReiche nicht auch noch sein Schlafkonto plündern muss, um den 14-Stunden-Tag beibehalten zu können – Grundlage seiner Privilegien –, braucht er für seine Buchführung lediglich ein zusätzliches Zeitkonto. Voraussetzung ist allerdings, dass es nicht in den offiziellen Büchern erscheint. Mit einem Schwarzkonto kann für ihn alles beim Alten bleiben. Barbara Ahrens

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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