■ Zur Wiederkehr des biologistischen Paradigmas: Rasse, Gene, Progression
In Zeiten der Ungleichzeitigkeit wird mit Ideen aller Art experimentiert. Man sucht nach Paradigmen, die das Auseinanderstrebende, nebeneinander Bestehende in einen synthetisierten Rahmen einspannen sollen, um es doch noch als zusammenhängend verstehen zu können. Die arriviertesten Experimente in solchen als Krisenzeiten erfahrenen Situationen sind diejenigen, in denen die Ungleichzeitigkeit und das Auseinanderstreben selber zum Paradigma gemacht werden. Sie setzten sich selten durch und praktisch nie auf Anhieb, sondern erst nach einer Gewöhnungsphase, denn sie verlangen Umdenken und Verzicht auf alte Sicherheiten.
Zurück zur Natur
Viel häufiger zu beobachten ist dagegen der Rückgriff auf alte Paradigmen des Verstehens und Handelns. Solche Rückgriffe sind manchmal produktiv, meistens aber einem Mangel an Einbildungskraft geschuldet, regressiv und damit gefährlich. In der europäischen und besonders in der deutschen Geschichte der letzten beiden Jahrhunderte gibt es eine konstante Reaktions- und Regressionsbewegung in Zeiten der Unübersichtlichkeit, für deren Wiederholung sich derzeit die Anzeichen mehren: der Rückgriff auf ,Natur‘. Zwei Formen dieses Rückgriffs lassen sich grob unterscheiden: der Rückzug aus Politik in Natur und die Rückbindung von Politik an Natur. Was die erste Reaktionsform angeht, so reicht ihre Tradition in Deutschland von der frühen Ökologiebewegung über die Wandervögel bis zurück in die spätere Romantik.
Weniger harmlos ist die Rückbindung von Politik an Natur. Die biotheologische Politik der katholischen Kirche demonstriert seit Jahren die Schädlichkeit dieses Paradigmas, was die Gleichberechtigung der Frauen, das Abtreibungsrecht, die Verhütung und die Aids- Prävention angeht. Zum selben Paradigma gehört unser jus sanguinis, das die Staatsbürgerschaft prinzipiell von einem biologischen Faktum, dem verwandten Blut ableitet. Damit ist der Rahmen vorgegeben, innerhalb dessen längst überwunden geglaubte, offen biologistische Konzepte wieder aufflackern. Darüber hinaus ist ein vielleicht noch beunruhigenderes Phänomen zu beobachten: die zunehmende Diskussion gesellschaftlicher Probleme in Begriffen der Biologie statt in Begriffen der Politik.
Noch stoßen solche Konzepte auf einen fast reflexhaften Protest, wenn uns etwa in schönster Tradition des 19. Jh. die Frau wieder als Natur, als Ort biologischer Funktionen und sonst gar nichts präsentiert wird oder wenn ein deutscher Politiker vor der ,Durchrassung‘ warnt. Wenn manche Intellektuelle plötzlich wieder von ,Volk‘ und ,Gemeinschaft‘ reden, dann meinen sie zwar nicht die biologisch bestimmte ,Volksgemeinschaft‘ – aber entscheidend ist nicht, was sie meinen, sondern was sie sagen.
Und wie wenig manche noch wissen, was sie sagen, kann man an einem Artikel in der Augustnummer von konkret und der Reaktion des Herausgebers auf vehemente Proteste studieren. In kapitalismuskritischer Absicht wird dort die Nivellierung der „eindeutigsten und haltbarsten“ Verschiedenheiten unter den Menschen, den „Rasseneigenschaften“ durch den Weltmarkt beklagt. Ausführungen über die menschliche Haut finden sich dort, ihre Festlegung durch Lebensraum und Klima und ihre Wirkung auf „Art und Richtung körperlicher und geistiger Aktivität“ und Feststellungen wie die, „daß die Natur ihre Huld innerhalb der Rassen wie auch zwischen ihnen nicht so gleichmäßig verteilt hat wie eine Firma ihre Postwurfsendung“. Rassismus, sagt der Autor, ist nur da, wo ,Rasse‘ und ,minderwertig‘ zusammen gedacht werden. Der Herausgeber nickt, deklariert den Text als Dokument zur Verteidigung von Differenz und behauptet, er sei nicht rassistisch. Das Problem ist nur: er ist es doch. Was sollte denn Rassismus sonst sein, wenn nicht die ,Verteidigung‘ der Differenz zwischen den ,Rassen‘? Gut gemeinter Rassismus ist eben immer noch Rassismus.
Als ob nicht das biologistische Paradigma der ,Rassen‘ – guter Wille hin oder her – nur Sinn hat im Kontext einer Bio-Politik, wie Foucault das genannt hat, in der es dann in der Konsequenz nicht mehr um soziale und ökonomische Differenzen und deren möglichen Ausgleich geht, sondern einzig noch um die eine Differenz zwischen Leben und Tod, um „die Macht, leben zu machen und sterben zu lassen“.
,Bio-Politik‘
Die ,Bio-Macht‘, von der Foucault spricht, konstituiert sich aber gar nicht unmittelbar im Feld des Biologischen, sondern in dem Politischen, genauer der politischen Hermeneutik. Biologische Argumentationen unterschlagen dieses gesamte Feld und lassen Politik statt im Diskurs u.a. über Natur in dieser selbst gründen. Aber biologische Fakten – einmal angenommen, es gebe so etwas wie rein biologische Fakten – begründen gar nichts. Auf sie als Basis zurückgreifen, also Politik an Natur zurückbinden, bedeutet in Wahrheit, sich von Politik zu verabschieden, Politik tatsächlich auf Bio-Politik zu reduzieren, also letzten Endes auf die Entscheidung zwischen „leben machen und sterben lassen“.
Die Leitwissenschaft einer solchen Bio-Politik ist die Genforschung. Bislang wird ihr der Status als Leitwissenschaft der Gesellschaftspolitik vehement streitig gemacht. In der Euthanasie-Debatte ging es nicht in erster Linie um biologische Fakten, sondern darum, in welchen Begriffen man solche Fakten diskutieren soll: in biologischen oder in politischen. Der Protest richtete sich völlig zu Recht gegen die Reduktion sozialer Phänomene wie Krankheit auf Probleme der Biotechnik. Einmal, weil mit dieser Reduktion ein Verlust sozialen und politischen Bewußtseins riskiert wird, und zum zweiten, weil die Existenz eines sozialen Wesens, ist es erst einmal auf ein biologisches Problem reduziert, nicht mehr zu garantieren ist.
Dieser ersten großen Konfrontation zwischen biologischem und politischem Diskurs werden weitere folgen, und die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß das biologistische Paradigma weiter an Boden gewinnen wird.
Zu beobachten ist diese Tendenz an einem gerade erst veröffentlichten Fall. Die Reaktionen der Schwulenorganisationen auf die lang erwartete ,Entdeckung‘ des Schwulengens Xq28 belegen, wie weit das biologistische Paradigma bereits verinnerlicht ist. Im wesentlichen laufen diese Reaktionen auf Erleichterung und Angst hinaus. Erleichterung, weil die Schwulen nun endlich nicht mehr widernatürlich, sondern ganz natürlich sind; Angst, weil man ihnen diese Natur genetisch austreiben kann. Beide Reaktionen sind darin identisch, daß sie sich schon von vornherein im biologistischen Paradigma bewegen und diesem erst gar kein politisches mehr entgegensetzen. Selbst wenn sich Xq28 nicht als Phantom erweisen sollte, bleibt doch die Frage, ob man Schwulsein als biologische oder soziale Tatsache, als Genproblem oder als Lebensform behandeln will. Es bleibt doch gegen die schleichende Gewöhnung an das biologistische Paradigma festzuhalten, daß biologische Tatsachen immer politische Tatsachen sind, politische aber nie biologische, und vor allem, daß das biologistische Paradigma selber eine politische Tatsache ist, mit der wir uns auseinandersetzen müssen, wenn wir nicht wollen, daß Politik zu Bio- Politik regrediert. Reiner Ansén
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