Zur Wahlniederlage der Grünen in Hamburg: Man entdeckt nur den Horror vacui
betr.: „Es geht um die Existenz“ von Bettina Gaus, „Die Rache der Verängstigten“ von Jan Feddersen, taz vom 25. 9. 01
Die analysierenden Überlegungen Feddersens sind ein gutes Gegengewicht zum Kommentar von Gaus, die eröffnen die Chance zum Dialog auch innerhalb der taz. [. . .]
Die Grünen sind nicht in der Situation der stärkeren Regierungspartei, die ihre Vorstellungen in Gesetze gießen kann. Ich finde, die Grünen haben eine Menge erreicht. Nach Frau Gaus müssten sie mehr „Rücksicht“ auf ihre Klientel nehmen. Das mal weitergedacht: also keine Teilnahme deutscher Soldaten an der Entwaffnungsaktion auf dem Balkan? Also Distanzierung von den USA? Natürlich haben die Grünen in der Regierung ihre reinen grünen Handschuhe beflecken müssen. Aber an der Regierung mit beteiligt zu sein, bedeutet eben mehr als Stellungnahmen – für die reicht Tinte. Fürs politische Handeln jedoch nicht mehr. Die von Frau Gaus erwähnten „Stammwähler“ der Grünen, die ihnen – nach nicht mal einer Legislaturperiode Bundespolitik – nun in Hamburg davongelaufen sind, haben wohl diesen Prozess von den Worten zu den Taten, die manchmal auch „Untaten“ sind, nicht mitvollzogen. Dieser Prozess beinhaltet auch eine Menge „Enttäuschungsfestigkeit“ in dem Sinne, dass nicht alles politisch Wünschenswerte auch in politisch Machbares zu verwandeln ist; im Gegenteil – das was tatsächlich erreicht wird, ist oftmals nur ein lächerlicher Abglanz. An der Regierung zu sein als kleinerer Koalitionspartner, das bedeutet nicht, alle Versprechungen einlösen zu können – im Gegenteil: Nicht nur ein „Sich Reiben“ (= Reibungsverluste) an der objektiven Realität, sondern eben auch immer wieder beschnitten werden vom größeren Koalitionspartner. [. . .] ANNA MARIA WESENER, Katzow
Ich kann den immer wieder erhellenden und auf den Punkt kommenden Kommentaren von Bettina Gaus nur beipflichten. So auch im vorliegenden Fall.
Die Beobachtung ist völlig korrekt, wonach die zentralen grünen Funktions- und Amtsträger – seitdem sie an der Macht partizipieren – ständig einen erheblichen Teil der Stammwähler vergrätzen. Wenn ich mich beruflich und in Freundes- und Diskussionskreisen umhöre, haben die Grünen mittlerweile (genauer gesagt) einen Großteil von der ersten Generation ihrer Wähler verloren, also derjenigen, die sie mit ihrer Sympathie, mit ihrem Einsatz und ihren Ideen auf der politischen Bühne installiert haben. Aller Kenntnis nach sind es gerade politisch besonders bewusste und engagierte Bürger, die sich enttäuscht von der Politik dieser Partei abgewendet und in die innere Emigration begeben haben. Ich habe Zweifel, ob sie je wieder zurückgewonnen werden können, denn in welchen Politikbereich man auch hineinschaut, oder mit welchem gesellschaftlichem Thema man sich näher befasst, man entdeckt nur den Horror vacui. [. . .] Entsprechend sind auch die vertretenen – in actu entzivilisierenden – politischen Konzepte. Sie weisen nicht mehr über die autistischen Diskurse der gesamten politischen Klasse hinaus. Das Arrangement scheint vollkommen. Die grünen Aufsteiger haben erreicht, was sie sehnsüchtig wollten. Nichts zählt mehr als dabei zu sein und mitzumachen. Das war’s dann. Dereinst lebte das politische Projekt der Grünen von den Tugenden des Dissenses und des Widerspruchs und vom offenen Streit um die Gestaltung des gesellschaftlichen Daseins. Außerdem gab es mal den Impetus des sozialen und gerechten Ausgleichs hier und in der Welt. Zu wenig ist davon in der grünen Partei übrig geblieben. [. . .] HANS GÜNTER GREWER
betr.: „Die Rache der Verängstigten“
Den Nagel auf den Kopf getroffen. Kompliment. Aber wer Bourdieu gelesen hat, muss befürchten, dass die an Bildung und Kulturkapital reiche Schicht den Bier trinkenden Bild-Leser und Vielfernseher nicht ernstnehmen kann, weil wir immer noch in einer Klassengesellschaft leben. BERND LIEFKE, Hamburg
Meine Begeisterung kennt keine Grenzen. Ich kopiere Ihren Artikel und versende ihn an gute Bekannte. Ihre Hoffnung, dass es reicht, wenn die Grünen drin bleiben, teile ich nicht. Heute lese ich, dass Frau Sager keine persönlichen Konsequenzen aus der Wahl zieht. Na, denn mal los. FELIX HILDEBRAND
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