■ Zur Verhandlung des Verfassungsgerichts: Nicht zuständig
Verfassungsrechtliche Auseinandersetzungen sind wenig populär. Man wird den BundesbürgerInnen in ihrer staatsbügerlichen Ehre kaum zu nahe treten, unterstellt man, daß der erdrückende Teil die beiden einschlägigen Grundgesetzartikel, die sich auf die Zulässigkeit internationaler Bundeswehreinsätze beziehen, bislang nicht zur Kenntnis genommen hat. Erheblich kleiner noch dürfte der Personenkreis sein, der sich in dieser Sache ein begründetes Urteil über die derzeit kursierenden Auslegungsvarianten zutrauen kann. Dessenungeachtet ist die Frage, was deutsche Soldaten künftig weltweit dürfen sollen – über den Kreis der gerne zitierten Soldatenmütter hinaus – von überragendem gesellschaftlichem Interesse. Schon an der Schere zwischen der hermetischen Auseinandersetzung und der hohen politischen Brisanz der Sache selbst läßt sich die ganze Illegitimität des von der Bonner Koalition gewählten Entscheidungsverfahrens ablesen; darüber hinaus aber deutet sich in der juristischen Verengung der Debatte selbst nicht einfach nur die Unfähigkeit der Politik, sondern zugleich deren Entschlossenheit an, über die existentielle politische Frage quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit befinden zu lassen.
Das, so läßt sich vermuten, garantiert nicht den Weg des geringsten Widerstandes. Denn jenseits der weitgehend ignorierten, juristischen Aspekte des Problems existiert in der Bundesrepublik eine in vierzig Jahren behüteter Nachkriegszeit verwurzelte Auffassung, die der Bundeswehr ausschließlich defensive Aufgaben zuweist. Man kann das als unzeitgemäß beklagen, ignorieren läßt sich diese Stimmungslage – die bis weit in die Bundeswehr selbst reichen dürfte – nicht. Was in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte jenseits des Denkbaren lag, wird heute nicht schon dadurch machbar, daß es sich möglicherweise als verfassungskonform erweist. Selbst wenn man für Militäreinsätze das Grundgesetz nicht verbiegen müßte, ist es unzulässig, den unter anderen Bedingungen formulierten Verfassungstext auf Optionen hin zu befragen, die damals außerhalb jeder politischen Realität lagen. Deshalb taugen die Verfassungsnormen weder zur Begründung der offensiven noch der defensiven Option.
Wer infolge der veränderten internationalen Bedingungen nach 1989 die Aufgaben der Bundeswehr neu definieren will, muß dafür um gesellschaftliche Zustimmung werben. Der Versuch jedenfalls, die öffentliche Debatte um die künftigen Mittel bundesdeutscher Außenpolitik auf dem Wege juristischer Plädoyers zu umgehen, ist nicht nur ein Spezialfall aktuellen Politikversagens, sondern auch ein gefährlicher Schritt in die Entdemokratisierung. Matthias Geis
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