■ Zur Strategie der Grünen im Superwahljahr: Mit Volldampf in die Opposition oder die Karten neu mischen!
Bei den Grünen scheint sich die Auffassung durchzusetzen, daß es nach der nächsten Bundestagswahl in Bonn eine Große Koalition geben werde. Je öfter man's sagt, desto wahrscheinlicher wird's. Die Rolle der Grünen wäre dann die der machtvollen Opposition, und im Bundestagswahlkampf ginge es darum, die oppositionelle Schlagkraft schon mal zu demonstrieren. Der Kurs der SPD nach rechts wird einerseits vorwurfsvoll beklagt und andererseits dankbar angenommen, bietet er doch hervorragend die Möglichkeit, links von der SPD auf Stimmenfang zu gehen. Ob diese Haltung durch Regierungsmüdigkeit, durch politischen Realismus oder durch das Festhalten am Rechts-Links-Schema begründet ist, mag dahingestellt sein.
Wenn bei den Bundes-Grünen gegenwärtig Wahlaussagen wie „Wir wollen mit einer starken Fraktion in den Bundestag“, „Helmut Kohl muß als Bundeskanzler abgelöst werden“, „Wir wollen drittstärkste Partei werden“ gehandelt werden, so muß man sich schon fragen, wie ungenau und bescheiden man dort geworden ist. Das sind Fragen, für die sich die Funktionäre der Partei in ihrem Ringen um Einfluß in der künftigen Bundestagsfraktion vielleicht erwärmen können.
Doch die Leute „draußen“, und ich meine die Mehrheit unserer Gesellschaft, stellen andere Fragen: Wie kann nicht allein Helmut Kohl, sondern das wohlstandschauvinistische Bündnis von CDU und FDP abgelöst werden, das unser Land spaltet und handlungsunfähig macht? Ein Bündnis, das alle Chancen eines Neuanfangs in den neuen Bundesländern verspielt hat, das auf Arbeitslosigkeit mit Arbeitszeitverlängerung antwortet und das die Ökologie in der Wirtschaftskrise auf Eis legt! Wie diese zynische Gurkentruppe abgewählt werden kann, das wollen die Leute wissen, und zwar nicht nur diejenigen, die links von der SPD stehen. Ob die Grünen stark oder halbstark in den Bundestag kommen, ist ihnen zu recht egal. Sie wollen wissen, ob die Grünen für einen Wechsel kämpfen oder nicht.
Wahlen kann man nur gewinnen, wenn man glaubwürdig geltend machen kann, daß man selbst etwas mit dem von der Mehrheit erhofften Wahlausgang zu tun hat. In einer Zeit, die so sehr nach Veränderungen schreit, wird der die Wahl gewinnen, der die Veränderung am plausibelsten verkörpert. Eine Grüne Partei, die sich darin erschöpft, die SPD in deren Absicht zu entlarven, letztlich doch nur eine Große Koalition zu wollen, ist nicht attraktiv. Sie erweckt nur allzu leicht den Eindruck, sie selbst wolle die Große Koalition.
Die kommenden Wahlen werden nicht links von der SPD entschieden, sondern im wesentlichen in der Mitte der Gesellschaft. Die Grünen wären blöde, wenn sie auf das Spiel der SPD reinfallen würden – nach dem Muster, die SPD kämpft um die Mitte, und die Grünen dürfen Unzufriedene links von der SPD von ihrer Unerschütterlichkeit überzeugen. Die einzige Chance der zerfallenden großen Volksparteien, doch noch zu überleben, besteht ja darin, das Rechts- Links-Koordinatensystem immer wieder zu erneuern. Aus der Sicht der SPD heißt das doch: Grünes Wachstum kann man nur stoppen, wenn es gelingt, die Grünen auf das Potential links von der SPD zu beschränken. Gefährlich dagegen sind die Grünen, wenn es ihnen gelingt, mit ihren Antworten zum Thema Arbeitslosigkeit, Ökologie oder Zerfall des Sozialen für WählerInnen in verschiedenen Lagern der Gesellschaft attraktiv zu werden.
Deswegen brauchen die Grünen eine Strategie, die auf den Regierungswechsel setzt, die klar macht, daß die Große Koalition eine Katastrophe ist. Und die verdeutlicht, daß die Grünen in den wichtigsten Fragen der Politik tragfähige Antworten haben. Es gibt bei den Grünen einen Konsens, bei dem ich nicht immer sicher bin, ob er nicht ein Scheinkonsens ist. Alle sagen, die Grünen seien eine Reformpartei. Aber eine Reformpartei ist man nicht per Deklamation, sondern dann, und nur dann, wenn man den Weg der Durchsetzung der angestrebten Reformen aufzeigen kann. Der Burgfrieden, der in den letzten beiden Jahren zwischen Ludger Volmer und Joschka Fischer auf der Basis des „Wir sind alle Reformer“ geschlossen worden war, hat die Gestaltung der Reformen nicht vorangebracht. Friede, Freude, Eierkuchen war das Gebot der vom Fundi-Realo-Streit erschöpften Partei.
Im Vordergrund des Wahljahres 1994 wird der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit stehen. Das wäre auch so gewesen, wenn die SPD sich beim Lauschangriff nicht der CDU unterworfen hätte. Die Grünen können, wenn sie das wirklich wollen, recht selbstbewußt mit einer wirtschaftspolitischen Alternative vor die Wählerinnen und Wähler treten. Die Ökologie ist längst nicht mehr Klotz am Bein der Wirtschaft, sondern sie ist die notwendige Voraussetzung für zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg. Im wesentlichen sind es doch die Ökologen und niemand sonst, die mit der Energiewende, der Verkehrswende und einem grundlegenden Wechsel in der Abfallpolitik neue Arbeitsplätze schaffen können.
Die Vision des ökologischen Wirtschaftens kann allen in der Gesellschaft eine Möglichkeit der Identifikation und des Mithandelns bieten. Diese Vision eröffnet eine Perspektive, wie ein reiches Industrieland, das von der Substanz lebt und Kosten auf künftige Generationen verlagert, zu einem ökologischen Industrie- und Dienstleistungsland werden kann. Nicht das Festhalten an überkommenen Strukturen, sondern der ökologische Strukturwandel, die ökologische Innovation von Produktion wie Verbrauch weisen den Weg aus der Sackgasse. Einen Weg, den auch die aufgeschlossenen Teile der Wirtschaft mitgehen können. Eine solche Vision kann übrigens auch einen Beitrag gegen den vielbeklagten Zerfall unserer Gesellschaft leisten: nicht zurück zu alten Werten wie „Nation“ oder „Autorität“, sondern ein Aufbruch, der auch auf der vollkommenen Veränderung der wirtschaftlichen und technologischen Basis unserer Produktionsweise gründet.
Durch nichts würden sich die Grünen 1994 mehr isolieren, als wenn sie die Standortdiskussion für eine Erfindung des Kapitals und die Krise einzig für eine Verteilungskrise hielten. Die Antwort, die Wirtschaftsbosse und die Reichen seien schuld, greift zu kurz, wiewohl es angesichts von Massenarbeitslosigkeit und Armut unerträglich ist, daß die Reichen immer reicher werden und bestimmten Teilen der Wirtschaft nichts Neues einfällt. Deswegen müssen die Grünen auch zum Träger der Idee eines Lastenausgleichs werden, mit dem allein der Aufbau Ost als auch die Überwindung der sozialen Spaltung finanziert werden kann.
Im Rahmen der Ökologisierung unserer gesamten Lebens- und Produktionsweise neue Arbeitsplätze zu schaffen (auf der Basis einer ökologischen Steuerreform) und die dann verbleibende Arbeit aufzuteilen (und zwar unter weitgehendem Verzicht auf Lohnausgleich), das ist die Perspektive eines gesellschaftlich gerechten Umgangs mit der Krise. Eine Tarifpolitik der Sockelbeträge statt linearer Lohnerhöhung ist nun zum Ausgleich sozialer Härten über mehrere Jahre geboten.
Die CDU hat durch Heitmann und VW die Bundestagswahlen schon verloren. Es geht um Spaltung oder Suche nach gerechten Lösungen. Die Mehrheit ist bereit, für Letzteres auch Opfer zu bringen, doch die politische Umsetzung eines Impulses wie dem von VW im Sinne einer Regierungsmehrheit in Bonn steht noch aus. Kohl und Rexrodt stehen für Arbeitszeitverlängerung, und es wäre geradezu tragisch, wenn Grüne und SPD nicht eine Politik formulieren könnten, die die gerechte Verteilung von Arbeit mehrheitsfähig macht.
Aufgabe der Grünen ist es, die lebensweltliche Perspektive radikaler Arbeitszeitverkürzung in die Diskussion zu bringen, also die Frage, welche sozialen und kulturellen Aufgaben sich in der neu gewonnenen Zeit stellen könnten. Ein Umbau des Sozialstaates, d.h., dessen Entkoppelung vom Wachstum, kann ja nur gelingen, wenn dieser besser und zugleich weniger teuer wird.
Die nächsten Monate werden zeigen, ob die Grünen wirklich eine Reformpartei sind. Wenn das grüne Wahlprogramm nur eine Summe schöner Forderungen auflistet, ohne sich um die Durchsetzungsperspektiven zu bemühen, dann kann sich das Bild einer Reformpartei, die eigentlich gar nicht will, ergeben. Der Verdacht, daß viele in der SPD Rot-Grün wie der Teufel das Weihwasser fürchten, ist nicht unbegründet. Das haben die Grünen in Hamburg bis zum Erbrechen erfahren. Dennoch dürfen es die Grünen der SPD nicht so leicht machen und eine Große Koalition antizipieren. Bei der Urwahl in der SPD hat eine deutliche Mehrheit für zwei KandidatInnen gestimmt, die explizit für Rot-Grün eintreten. Die CDU muß zur Runderneuerung auf die Oppositionsbank.
Wer für einen Wechsel in Bonn ist, so könnte die grüne Botschaft lauten, sollte sicherheitshalber die Grünen wählen. Die Grünen brauchen der SPD nicht nachzulaufen. Unverzagt könnten sie, die Wirtschaftspolitik ins Zentrum ihres Wahlkampfes rückend, munter vor ihr herspazieren. Fritz Kuhn
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