■ Zur Sache: Lutz Bertram und die Stasi – 2. Kommentar: Respekt vor Bertrams Courage
Es soll hier keine Rolle spielen, daß Bertram ein – offenbar nicht übermäßig wichtiger – Zuträger war. Es soll zählen, daß er sich aus freiem Entschluß und öffentlich den Fragen seines Tribunals stellte.
Und die Fragen kamen nicht zimperlich. Wo Bertram sich längst schuldig bekannt hatte und an verspäteter Aufrichtigkeit abarbeitete, verlangte der als Großinquisitor agierende Greffrath mit zunehmender Schärfe Bertrams „Mea culpa“. Es ging Greffrath nicht darum, den Fall Bertram besser zu beleuchten oder gar Absolution zu erteilen. Hier spielte einer Verhör mit Hinrichtung. Bertram behielt seine Würde. Wie schockierend leicht aber konnte man sich Greffrath als Führungsoffizier vorstellen.
Lutz Bertram hat sich nicht „hinter der Wahrheit verkrümelt“, sondern versucht, „ein Furunkel abzuschneiden“, ohne sich zum Opfer zu machen. Viele werden von Bertram enttäuscht sein. Genauso viele werden die Wahrheit nicht glauben wollen, so wie meine Mutter, die todunglücklich am Radio saß. Der Osten hat einmal mehr einen Hoffnungsträger verloren, der aus den eigenen Reihen kam. Nicht wenigen Leuten wird das vorzüglich in den Kram passen. Dennoch: Dem ost-östlichen, ost-westlichen Grabenkrieg aus angemaßter Moralität und verstecktem Eigennutz ist nur mit einem beizukommen: der konkreten Wahrheit. Bertrams Geschichte ist extrem tragisch. In „Zur Sache“ hat er sie nicht benutzt, sondern einfach erzählt. Natürlich wird man ihm unterstellen, daß er die Tragik seiner Geschichte benutzt hat. Wie auch immer, sie entlastet ihn nicht von der Verantwortung. Nicht vollkommen. Aber man kann nicht die Augen davor verschließen, daß Bertram verwundbarer war als andere an seiner Stelle.
Dieses „Zur Sache“ hat gezeigt, daß die Geschichte eine von Menschen ist und keine von abstrakten, grundguten, starken, immer unbeugsamen und integren Geschöpfen. Lutz Bertrams Courage, sich in die Feuerlinie zu setzen, erweise ich meinen unbedingten Respekt. Bis zum Schluß hatte ich gehofft, daß diese öffentliche Selbstverbrennung einer von Lutz Bertrams genialen Bluffs ist, ein trotziges Fake gegen die hysterische Stasi-Hatz, die eine komplexe Aufarbeitung von DDR-Geschichte ebenso verhindert wie den klaren Blick auf die BRD-Gegenwart. Die „Stimme des Ostens“ wird nicht mehr moderieren, ob nun „in Übereinkunft mit dem Ostdeutschen Rundfunk“ oder nicht. Nicht nur ich werde einen ausgezeichneten, einen klugen, stilistisch eleganten und unerschrockenen Journalisten vermissen. Anke Westphal
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