■ Zur Neuen Wache: Sinnstiftung per Dekret
Der wichtigste Museumspädagoge in Deutschland heißt Helmut Kohl. Erst paukte er ganz alleine das Haus der Deutschen Geschichte in Bonn durch, dann beschloß er in Berlin ein Deutsches Historisches Institut, und als vorläufig letzten Streich verfügte er – ruck, zuck – die Umgestaltung der Neuen Wache zur Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik. Weil die Nation nicht weiß, ob sie noch eine ist, beschließt der Kanzler dies einfach. Er betätigt sich als der große Sinnstifter und bewältigt die deutsche Geschichte administrativ. Der Historiker Kohl entscheidet wie ein König und ist später ganz erstaunt, daß sich republikanischer Widerstand rührt.
Aber eigentlich tangiert ihn auch dies wenig. Seine Politikerkompetenz erweist sich, in dem er Zusatzdekrete verkündet. Den Protest gegen die Opfer und Täter gleichermaßen berücksichtigende Inschrift fängt er auf, indem er in letzter Sekunde die Anbringung einer zusätzlichen differenzierenden Gedenktafel befiehlt. Die Opfergruppen des Nazi-Terrors sollen einzeln genannt werden. Aber unklar bleibt, ob dies ein Akt von Schadensbegrenzung ist oder eine didaktische Nachbesserung mit der Botschaft: In Bombennächten verbrannte SS-Kommandanten sind nicht gemeint. Und nur folgerichtig ist, daß jetzt auch die Opfer kommunistischer Herrschaft genannt werden wollen. So wird die Neue Wache dank der eingestreuten Konsenshäppchen des Kanzlers ein Gedenktafelmausoleum, mit einer demokratischen Entscheidungsfindung aber hat das nichts zu tun. Jetzt fehlt nur noch, daß man die Pieta mit einem Davidsstern versieht – damit jeder weiß, daß sie nicht als christliches Symbol der Erlösung gemeint ist. Anita Kugler
Siehe Bericht Seite 5
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